Hinweise auf aktuelle Rechtsprechung zu Sozialleistungen bei EU-Bürger*innen

Mehrere Gerichte haben sich mit verschiedenen Aspekten des (fehlenden) Anspruchs auf Sozialleistungen von EU-Bürger*innen auseinandergesetzt:

-> Das Sozialgericht Düsseldorf hat sich - nach "Spiegel"-Bericht - mit Beschluss vom 14. April 2020 (Az: S25 AS 1118/20 ER) zum Sozialleistungsausschluss von EU-Bürger*innen in Zeiten der Corona-Krise geäußert.     

               Zwar handelt es sich bei dem konkreten Fall eines obdachlosen Portugiesen, den das SG Düsseldorf zu entscheiden hatte, um eine besondere Konstellation, die sich ohne Weiteres auf alle obdachlosen Unionsbürger*innen übertragen lässt. Das Gericht bezeichnet Leistungsverweigerungen in der Entscheidung aber allgemein als "gerade in der derzeitigen Extremsituation aufgrund der Pandemiesituation völlig unverständlich".

               "Einem ausländischen Obdachlosen, der wegen geschlossener Grenzen in Europa derzeit auch nicht in sein Heimatland zurückreisen kann, um gegebenenfalls dort Sozialleistungen zu beantragen, ist nach Auffassung des Gerichts nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auch hier von deutschen Behörden ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewähren, das sein Überleben in dieser Zeit sichert, zumal aufgrund der Einschränkungen des öffentlichen Lebens es derzeit für Obdachlose mehr als schwierig sein dürfte, auf der Straße Leistungen gegebenenfalls zu erbetteln."

Weitere Informationen und einen Kommentar von Harald Thomé zur Bedeutung des Urteils finden sich in dem "Spiegel"-Bericht: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/coronakrise-jobcenter-muss-obdachlosem-eu-buerger-hartz-iv-zahlen-a-7a7e8808-4a13-4607-a0b1-5b7c4e5afee6

-> Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich erneut mit dem Sozialhilfeausschluss von EU-Bürger*innen ohne materielles Aufenthaltsrecht befasst. Mit Beschluss vom 12. Februar 2020 (Az: 1 BvR 1246/1 , https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/02/rk20200212_1bvr124619.html ) hat es einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, mit der der Betroffene sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für ein sozialgerichtliches Eilverfahren zu der Frage gewandt hatte, ob er als in Deutschland lebender, arbeitssuchender griechischer Staatsangehöriger einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII hatte.

               Das BVerfG entschied, dass der Betroffene durch die Ablehnung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren in seinem Recht auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt wurde.

Die vor dem Sozialgericht entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob ein nicht erwerbstätiger, nicht ausreisepflichtiger Unionsbürger ohne Ausreisewillen einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII habe, sei schwierig und ungeklärt. Insbesondere sei ungeklärt, ob der Leistungsausschluss verfassungsgemäß sei, da es hierzu keine höchstrichterliche Rechtsprechung gebe und von den Landessozialgerichten verschiedene Auffassungen vertreten werden, bereits im Gesetzgebungsverfahren hieran Zweifel geäußert worden seien und die Frage auch in der Literatur umstritten sei.

Diese Frage sei auch schwierig, da sie sich nicht ohne Weiteres aus der vorhandenen Rechtsprechung des BVerfG beantworten lasse: sowohl die Auffassung, der Leistungsausschluss sei verfassungskonform, als auch die Gegenauffassung würden sich mit jeweils nicht von vornherein unvertretbaren Argumenten auf diese Rechtsprechung berufen. Dem mittellosen Beschwerdeführer müsse daher Prozesskostenhilfe gewährt werden, damit er seinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen abschließend prüfen lassen könne.

               Anmerkung: Das BVerfG hat sich somit zum wiederholten Mal nicht inhaltlich zu der Verfassungsmäßigkeit von Leistungsausschlüssen von ausländischen Staatsangehörigen geäußert. Drei weitere Verfassungsbeschwerden zu dieser Frage hatte das BVerfG jeweils ohne inhaltliche Prüfung aus dem formellen Grund der unzureichenden Begründung abgelehnt (Beschluss vom 26. Februar 2020, Az. 1 BvL 1/20 und Beschlüsse vom 04. und 17. Dezember 2019, Az. 1 BvL 4/16 und 1 BvL 6/16).

-> Das Landessozialgericht Hessen hat mit Beschluss vom 11. Dezember 2019 (Az: L 6 AS 528/19 B ER , https://www.asyl.net/rsdb/m28042/ ) entschieden, dass der Bezug aufstockender Sozialleistungen das Freizügigkeitsrecht von Unionsbürger*innen als Arbeitnehmer nicht entfallen lässt und damit der Bezug ergänzender Leistungen auch nicht gem. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ausgeschlossen ist.

               Insbesondere sei die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn Arbeitnehmende aufstockend zu einer tatsächlichen und echten Beschäftigung oder zur Integration in den Arbeitsmarkt Sozialleistungen erhalten. Dies gelte selbst dann, wenn ein entsprechender Bedarf zum Zeitpunkt der Zuwanderung absehbar war. "Denn mit der Gewährleistung der Freizügigkeit für Arbeitnehmende ist gerade auch der Zugang zu ergänzenden Sozialleistungen verbunden."

               "Für die Annahme, die Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit könne sich als missbräuchlich darstellen, bleibt nach Auffassung des Senats daher jedenfalls dann kein Raum, wenn der Betroffene - wie hier - durch seine Tätigkeit seinen eigenen Bedarf jedenfalls fast und zumindest unter zusätzlicher Inanspruchnahme von Wohngeld auch vollständig decken kann."

Hierfür genüge die nahezu vollständige Bedarfsdeckung des Familienmitglieds, das sich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit beruft. Auf die Deckung der Bedarfe aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft komme es hingegen nicht an, da die Freizügigkeit der Familienmitglieder nach den gesetzlichen Vorschriften (§ 3 Abs. 1 FreizügG/EU; Art. 7 Abs. 1 Bst. d der Freizügigkeitsrichtlinie) allein an den Status des erwerbstätigen Familienmitglieds anknüpfe.

Fachgespräch

zur Psychiatrie ohne Zwang

Fachgespräch zur Psychatrie

Bereits im Februar veranstalteten wir ein Fachgespräch zur Situation der Psychiatrie in Hessen mit vielen Expert*innen und Betroffenen. Daraus entstanden wichtige Aufträge und Impulse für unsere Arbeit zu diesem Thema in den kommenden Monaten.

Hier gibt es eine Videodokumentation zu dieser Veranstaltung

Tagungsdokumentation:

Protokoll_Fachgespräch_Psychiatrie_ohne_Zwang

Präsentation Dr. Martin Zinkler