Reden im Landtag

Christiane Böhm - Pflegeschulen und Pflegeausbildung benötigen eine angemessene Finanzierung

Christiane Böhm
Christiane BöhmGesundheit

In seiner 45. Plenarsitzung am 24. Juni 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Finanzierung der Pflegeschulen und zur Reform der Pflegeausbildung. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Wissen Sie eigentlich, was man als Altenpflegehelferin bzw. Altenpflegehelfer verdient? Das Einstiegsgehalt liegt bei 1.700 bis 2.000 € brutto und damit unter dem Durchschnitt aller Beschäftigten, der Fachkräfte in der Kranken- und Altenpflege und sogar noch 500 € unter dem Durchschnitt der Krankenpflegehelferinnen.

Nehmen wir 2.000 € an – seien wir großzügig. Die Abgaben betragen 400 €. Wenn man im Rhein-Main-Gebiet wohnt, dürfte die Mietbelastung mit Nebenkosten bei 800 € liegen.

(Gerhard Schenk (AfD): Ein bisschen mehr!)

– Eher mehr. Ich wollte jetzt einmal großzügig sein. – Das heißt, es bleiben 800 € für Vollzeitarbeit übrig, für Schichtarbeit, für harte körperliche Arbeit – das werden Sie nicht ableugnen –, für psychische Belastungen, für immer wieder Einspringen, weil Personal fehlt. Die Kolleginnen und Kollegen haben nicht einmal die verlässliche Freizeit, um sich einen Nebenjob zu suchen, von dem sie ihre Familie ernähren können.

Meine Damen und Herren, das ist ein Skandal.

(Beifall DIE LINKE)

Und da wundern Sie sich, dass es in der Altenpflege eine Personalnot gibt? Mich wundert das nicht. Aber seit heute weiß ich, wer daran schuld ist. Super, das habe ich erst heute erfahren. Frau Müller-Klepper, Sie haben es mir erklärt. Manche geschichtlichen Kenntnisse aus der hessischen Politik fehlen mir. Sie haben diese Billiglohnausbildung zu verantworten.

(Petra Müller-Klepper (CDU): Besser als Hartz IV! – Gegenrufe SPD und DIE LINKE: Ui, ui, ui! – Glockenzeichen)

– Nein, besser wäre eine vernünftige Bezahlung in der Altenpflege. Sie müssen die Altenpflege so organisieren, dass die Menschen vernünftig bezahlt werden können.

(Lebhafter Beifall DIE LINKE und SPD – Elke Barth (SPD): Besser als Hartz IV? Das ist unfassbar!)

Ich versuche gerade, mich wieder ein bisschen einzukriegen. Sonst steigt mir die Wut nach dieser Bemerkung zu sehr hoch.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Besser als Hartz IV!) – Ja, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Letzte Woche habe ich auf einer Kundgebung von Altenpflegekräften in Darmstadt gesprochen. Dort haben, wie bundesweit, die Beschäftigten der Altenpflege für bessere Arbeitsbedingungen, für bessere Bezahlung und für eine solidarische Finanzierung protestiert. Sie haben nicht nur für ihre eigenen Interessen protestiert, sondern sie haben das zusammen mit den Pflegebedürftigen und den Angehörigen gemacht, weil sie sich natürlich Gedanken darüber machen: Was kommt, wenn die Löhne erhöht werden? Welche Preise kommen bei den Pflegebedürftigen an? Es geht darum, dass wir eine andere, eine solidarische, eine Pflegevollversicherung haben, um diese Pflege vernünftig bezahlen zu können.

(Beifall DIE LINKE)

Altenheime waren und sind in der Corona-Krise nicht selten ein Infektions-Hotspot gewesen. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen haben unter den Schwierigkeiten gelitten, miteinander Kontakt zu halten. Um die Hygienekonzepte des RKI umzusetzen – das sagten die Einrichtungen deutlich –, fehlt ihnen das Personal. Aber mehr zu testen, lehnt diese Landesregierung fahrlässigerweise immer noch ab. Sie hat es abgelehnt und lehnt es immer noch ab.

Aber wir hatten schon vorher einen Pflegenotstand. Während der Pandemie sind besonders viele Menschen in Altenheimen gestorben. Aus dieser Krise zu lernen heißt doch, dass wir alles dafür tun müssen, um diesen Pflegenotstand zu beheben.

(Beifall DIE LINKE)

Da ist es schön, wenn Hessen die 500 € auf den Pflegebonus drauflegt. Aber warum haben Sie die Arbeitgeber nicht wie in anderen Ländern dazu bekommen, sich daran zu beteiligen? Da kann ich nur Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich ist das Verhältnis zu den Trägern spätestens seit dem Zeitpunkt schlecht, als Staatsminister Klose ihnen innerhalb von einem Wochenende die Angehörigen in die Einrichtungen geschickt hat.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie können sie ja enteignen! Dann kann man auch die Löhne bestimmen!)

– Eine Superidee. Sind wir dafür? Das können wir gleich machen, alles klar.

Bei dieser Gehaltssituation können wir noch froh sein, dass ver.di den Pflegemindestlohn durchgesetzt hat. Damit können die vielen nur teilweise ausgebildeten Kräfte in der Altenpflege nicht noch schlechter bezahlt werden. Teilweise ist es wirklich bodenlos, was an Löhnen gezahlt wird. Leider sind die Verhandlungen mit dem Arbeitgeberverband für einen Tarifvertrag, der dann als allgemein verbindlich erklärt werden soll, noch nicht erfolgreich abgeschlossen. Ich erwarte aber von Ihnen allen, dass Sie alle Möglichkeiten nutzen, um zu unterstützen, dass dieser Tarifvertrag auf den Weg kommt.

(Beifall DIE LINKE)

Das sollten wir im Kopf haben, wenn wir uns mit dem heutigen Gesetzentwurf beschäftigen. Der Pflegenotstand ist nicht gelöst, die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind unerträglich, die Maßnahmen vonseiten des Landes völlig unzureichend, und die pflegenden Angehörigen bleiben sowieso völlig im Regen stehen, da es viel zu wenige und schlecht finanzierte familienergänzende Leistungen gibt.

Kommen wir zu diesem Gesetzentwurf. Ich habe vorhin schon gesagt, was ich von dieser einjährigen Pflegehelferausbildung halte. Von dem Gehalt kann man nicht leben. Aber Altenpflege ist auch eine äußerst anspruchsvolle Tätigkeit. Immerhin sieht man sich als Pflegekraft häufig Menschen mit vielen Erkrankungen gegenüber, die ihre Bedürfnisse oft nicht mehr adäquat artikulieren können. Wir wissen, dass hier eine hohe Kompetenz erforderlich ist.

Da wir wissen, dass in hessischen Einrichtungen die Fachkraftquote von 50 % oft nicht eingehalten wird, ist es wichtig, dass wir uns eher darum kümmern, mehr Fachkräfte zu haben, und nicht den Einrichtungen die Möglichkeit geben, Hilfskräfte einzustellen. Natürlich sind sie beliebt. Es ist logisch. Wenn man nur 1.700 € für eine Kraft bezahlen muss, ist das für den Träger einer Einrichtung wesentlich günstiger, als wenn man 800 oder 1.000 € drauflegen muss.

Es wird auch nicht besser, wenn Sie jetzt bei der Ausbildung ein paar Stunden draufschlagen. Ich hoffe, dass es in irgendeiner Weise schneller geht, als der Minister das angekündigt hat, dass man zu einer generalistischen Ausbildung kommt. Dabei habe ich auch mit der Assistenzausbildung meine Probleme. Es ist die Frage, welche Inhalte und welche Qualifikation dort vermittelt werden und wie die Menschen hinterher bezahlt werden, ob sie davon noch leben können.

Wir haben es bei der Altenpflege leider – im Gegensatz zu den nordischen Ländern – bei uns vorwiegend mit privaten Einrichtungen zu tun.

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich muss zum Schluss kommen? Das tut mir jetzt leid. Ich möchte zumindest noch kurz etwas zu den privaten Einrichtungen sagen, weil Herr Bocklet mich darauf hingewiesen hat.

Wir haben hier eine ganze Menge von Einrichtungen, die froh sind, wenn Sie ihnen solche Billigangebote wie die Altenpflegehelferinnen anbieten. Es geht darum, dass sie mit ihren Altenheimen Rendite erwirtschaften wollen. Es sind Private Equity Fonds, die diese Einrichtungen besitzen, die sie ständig verkaufen, die sie alle vier Jahre an einen neuen Fonds verscherbeln, und damit Gewinne machen wollen. Wenn Sie meinen, dass das ein gutes Konzept für die Altenpflege ist, Herr Bocklet, dann tun Sie mir wirklich leid.

(Beifall DIE LINKE)