Reden im Landtag

Christiane Böhm zum Sinnesbehindertengeld

Christiane BöhmGesundheitSoziales

In seiner 81. Plenarsitzung am 8. Juli 2021 diskutierte der Hessische Landtag abschließend über das neue hessische Sinnesbehindertengeld. Dazu die Rede unserer inklusionspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Brünnel, ich weiß nicht, was Sie von uns wollen. Wir haben Ihrem Gesetzentwurf vorgestern Abend im Ausschuss zugestimmt – nicht die ganze, aber die gesamte demokratische Opposition. Ich weiß nicht, was Sie wollen. Kritisieren Sie uns jetzt nur, weil wir denken, dass es auch noch besser sein könnte, weil wir Ihren Gesetzentwurf gern verbessern würden? Ich weiß überhaupt nicht, was ich damit anfangen soll. Ich finde, dass wir dem Regierungsgesetzentwurf zustimmen, obwohl wir hieran Kritik haben, dies ist doch eine gute Geste von uns; und dazu will ich einmal sagen: In diesem Falle fehlt ein Dank an die Opposition.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Freie Demokraten)

Ich fand die Anhörung interessant, insbesondere das Bild, das ein Anzuhörender von dem Gesetzentwurf gemalt hat; denn er hat gesagt, er habe den Eindruck gehabt, bei diesem Gesetzentwurf sei der „Tiger“ Landesregierung schon eingeschläfert worden, bevor er einen kleinen Sprung gemacht habe, um dieses Gesetz zu verabschieden. Ich denke nicht, dass es sich bei der Landesregierung um einen Tiger handelt, vielleicht eher um ein Chamäleon, das gerade einmal seine Farbe wechselt; aber das ist Geschmackssache.

Immerhin ist es gut, dass dieses Tier, was es auch immer sei, durch einen Pikser der Anzuhörenden bzw. aufgrund der Oppositionsanträge zumindest so weit geweckt worden ist, dass kurz vor Schluss der zweiten Lesung noch ein Änderungsantrag eingetroffen ist. Wir haben gelobt, dass Sie zumindest bereit waren, drei Änderungen vorzunehmen. Also, noch mehr Lob geht gar nicht mehr; das ist wirklich viel zu viel. Das ist ganz schrecklich, dann werden Sie noch völlig übermütig; und damit ist das jetzt auch beendet.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Ich möchte noch einmal sagen, was für uns ganz wichtig ist und an diesem Gesetzentwurf geändert werden müsste: Der Grad der Behinderung, statt 100 müssen es 80 sein. Das ist, denke ich, ganz deutlich. Daher fand ich es widersinnig, als der Minister hier argumentiert hat, in dem einen Falle, in dem das TBl nicht mehr notwendig sei, müssten die ja nicht mehr auf das Versorgungsamt laufen. Aber die Menschen, die nur einen Grad der Behinderung von 80 haben, also die paar Tausend, sollen jetzt alle zum Versorgungsamt laufen, um dort einen Antrag zu stellen? Das finde ich sehr widersinnig; das fördert Bürokratie und schikaniert die Betroffenen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber Sie haben noch ein paar Minuten Zeit bis zur Abstimmung, um Ihre Meinung zu ändern. Wir sind großzügig und übernehmen das dann gern.

Ich denke, auch unsere zweite Forderung war klar, dass es keine Reduzierung der Nachteilsausgleiche gibt, weder bei besonderen Wohnformen noch bei anderen Leistungen. Das würde das Gesetz schlanker machen. Viel problematischer ist aber, dass Sie kontrollieren wollen, wie die Leute das Geld verwenden. Das ist ein deutlicher Eingriff in Persönlichkeitsrechte und widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention. Auch die Reduzierung des Anspruchs auf besondere Wohnformen stieß bei fast allen Anzuhörenden auf Widerspruch. Und es ist notwendig, Dolmetschende und Assistenzleistende zusätzlich einzusetzen. Auch hierzu erwarte ich von Ihrer Seite Bewegung. Zur unsinnigen Befristung dieses Gesetzes möchte ich heute nicht mehr sprechen. Wie nannte es Kollege Lotz gestern in seinem Beitrag? Er sagte, das sei, wie einem Hirsch ins Geweih zu petzen.

Noch etwas zum Thema Thüringen, da mir dies immer vorgeworfen wird. Ulrike Alex hat jetzt gesagt, ich übernähme in Thüringen die Verantwortung. Das war mir nicht bewusst. Wenn du das aber so sagst, dann habe ich jetzt verstanden, weshalb ich dafür immer kritisiert werde. Also: Der Grad der Behinderung, ab wann man in Thüringen Gehörlosengeld bekommt, ist 70. Und das Sinnesbehindertengeld – Ulrike hat es gerade gesagt – gibt es schon länger. Auch ich will noch einmal sagen: Bitte verwechseln Sie nicht dauernd Hessen mit Thüringen. Erstens haben diese nur ein Drittel der Einwohner, und zweitens hat Thüringen in Bezug auf seine Einwohner nur zwei Drittel unseres Bruttosozialprodukts. Man muss also schon einmal sehen, dass die Wirtschaftskraft in Thüringen eine andere ist als in Hessen. Dies sollte man in seine Betrachtung ab und zu mit einbeziehen.

Was aber noch wichtig war: Vorgestern Abend haben Sie unseren Antrag im Ausschuss abgelehnt, den Beschluss des Landtages zur Ausbildung der Taubblindenassistenz vom 28.09.2017 nochmals zu bestätigen.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Kommen Sie bitte zum Schluss?

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Was sollen wir den Betroffenen sagen? Es war schließlich Ihr Antrag, den Sie damals aufgenommen hatten. Heißt das, dass Sie Ihr Geschwätz von vor vier Jahren heute nicht mehr interessiert? Ich denke, das ist wirklich ein starkes Stück; und Sie müssen den Betroffenen deutlich erklären, dass Sie sich nicht einmal an Ihren alten Beschluss halten und diesen nicht bekräftigen, um endlich einmal dafür zu sorgen, dass wir eine Taubblindenassistenz bekommen. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)