Reden im Landtag

Christiane Böhm: Schwangere brauchen bestmögliche Beratung und Unterstützung

Christiane BöhmFrauenGesundheit

In seiner 82. Plenarsitzung am 28. September 2021 diskutierte der Hessische Landtag zum Schwangerschaftskonfliktgesetz. Dazu die Rede unserer frauen- und gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Heute wird weltweit der Safe Abortion Day begangen. 1990 rief ein Netzwerk von Aktivistinnen und Aktivisten in Lateinamerika und der Karibik die Campaña 28 Septiembre aus, den Aktionstag zum 28. September. Seitdem sind an diesem Tag Frauen und Männer unterwegs, um für einen sicheren, entkriminalisierten, kostenfreien Zugang zum Schwangerschaftsabbruch zu kämpfen. Auch in Deutschland muss das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Frauen gestärkt werden. Dazu ist es notwendig, die §§ 218 und 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

(Beifall DIE LINKE)

Das diesjährige Motto für den Aktionstag heißt dementsprechend: „150 Jahre Widerstand gegen § 218 StGB – es reicht!“ In Hessen finden dazu heute Aktionen in Darmstadt, Frankfurt, Gießen, Limburg und Wiesbaden statt. Ich danke den Aktiven vor Ort für ihr Engagement und wünsche ihnen eine gute Resonanz.

(Beifall DIE LINKE)

Auch wenn wir wissen, dass es in vielen Ländern noch schwieriger ist, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen – ich erinnere nur an das Verbot in Texas sogar nach einer Vergewaltigung –, ist es notwendig, bei uns in Hessen dafür zu sorgen, dass das Recht tatsächlich gewährleistet ist. Durch die großen Hürden, die Ärztinnen und Ärzten auferlegt werden, dass sie z. B. nicht einmal über den Abbruch und die verwendeten Methoden informieren dürfen, gibt es immer weniger Möglichkeiten für Frauen, den Abbruch in Hessen tatsächlich durchzuführen.

Hier ist die Landesregierung verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Frauen die Möglichkeit für einen Schwangerschaftsabbruch haben und dass sie die freie Wahl haben, mit welcher Methode dieser durchgeführt werden soll. Kommen Sie dieser Verpflichtung doch endlich nach.

(Beifall DIE LINKE)

Umso größere Bedeutung kommt den Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen zu. Diese haben die Aufgabe, Frauen zu helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dafür danke ich allen Beratungsstellen und den Ärztinnen und Ärzten, die diese Aufgabe übernehmen, aber auch den Ärztinnen und Ärzten, die die Abbrüche durchführen, für ihre verantwortungsvolle Arbeit, für ihr Engagement, ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen.

Ich bedanke mich gerade bei den Beraterinnen und Beratern, die viel Arbeit damit haben, mit den Frauen eine Möglichkeit zu finden, den Abbruch rechtzeitig durchzuführen, weil es beispielsweise in Osthessen keinen Arzt oder keine Ärztin mehr gibt, die das tatsächlich machen.

Es gibt viele Widerstände durch rechte und klerikale Gruppen, die Gott sei Dank dank unseres Gesetzentwurfs aus dem Jahr 2019 die Frauen nicht mehr direkt vor der Beratungsstelle beeinflussen dürfen. Aber es gab auch während der Corona-Pandemie Probleme mit der Schutzausrüstung und der Frage, ob Schwangerschaftsabbrüche verschiebbare Eingriffe sind.

Jetzt liegt uns der Gesetzentwurf der Landesregierung vor. Wie gewohnt, kommt er zu spät. Wie gewohnt, wird er keine Verbesserung bringen. Unsere Kritik entzündet sich insbesondere an vier Punkten:

Erstens. Es ist ein zu kleiner Schritt, den Anteil der ärztlichen Beratungsstellen von maximal 20 % auf 15 % zu senken. Das war und ist ein Sparprogramm der Hessischen Landesregierung, da die Ärztinnen und Ärzte nur eine Pauschale von demnächst 75 € für jede Beratung nach § 5 des Hessischen Ausführungsgesetzes bekommen sollen. Sie führen aber wesentlich weniger Beratungen als eine Beratungsfachkraft durch.

Dieses Vorgehen wird zur Unterfinanzierung der Beratungsstellen führen. Diese machen nämlich viel mehr. Sie beraten in Fragen der Sexualaufklärung, der Verhütung, der Familienplanung sowie in allen anderen die Schwangerschaft betreffenden Fragen.

Ich bedanke mich sehr dafür, dass die Beratungsstellen trotz der mangelhaften Ausstattung durch das Land diese verantwortungsvolle Aufgabe auch verantwortungsvoll wahrnehmen. Allerdings sind auch ihnen, finanziell gesehen, die Hände gebunden. Wartezeiten, lange Wege und eingeschränkte Beratungsleistung sind die Folge für alle, die diese Beratung in Anspruch nehmen wollen. Gemeinsam mit der Liga der Freien Wohlfahrtspflege fordern wir, die Ärztinnen und Ärzte nicht mehr auf den Beratungsschlüssel von 1 : 40.000 Einwohnerinnen anzurechnen.

Das Zweite ist: Es bleibt mir ein Rätsel, warum nur 80 % der Personalstellen finanziert werden, warum für die Beratung nur Stellen mit 80 % vorgesehen sind und nur aus diesen 80 % die Sachkosten berechnet werden. Das wird doch vorne und hinten nicht reichen, um die Beratung ordentlich zu finanzieren.

Es ist schön, dass Sie die Änderungen beim Tarif mit diesem Gesetz berücksichtigen werden. Aber das darf doch nicht erst nach vier Jahren geschehen. Wie sollen denn die Träger für die Finanzierung der tarifgerechten Bezahlung aufkommen? In den Vorjahren haben Sie es mit sozialpädagogischen Bildungsangeboten, mit Einnahmen durch Bußgelder und Spenden immer noch so einigermaßen hinbekommen. Das ging während der Corona-Pandemie überhaupt nicht mehr.

Es ist dringend erforderlich, die Finanzierung auf feste Beine zu stellen und eine automatische Anpassung an die Tariferhöhungen im Gesetz festzulegen. Die Tariferhöhung muss spätestens mit der Jahresendabrechnung ausgeglichen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Schließlich handelt es sich hier vorwiegend um Frauenarbeitsplätze. Viele arbeiten in Teilzeit. Das bedeutet, sie sind oft genug nicht in der Lage, von ihrer Arbeit gut zu leben. Das bedeutet im schlimmsten Fall auch Altersarmut. Das ist dann von der Hessischen Landesregierung geförderte Altersarmut.

Drittens. Das Gesetz soll auf sieben Jahre befristet werden. Wie wir diese Landesregierung kennen – hoffentlich gibt es einmal eine andere –, wird das Gesetz vorher nicht angepasst werden, auch wenn die Opposition das beantragt. Damit werden die niedrigen Pauschalen für die Personalund Sachkosten festgeschrieben. Die Träger haben nicht einmal mehr die Hoffnung, dass sich da Kleinigkeiten ändern werden.

Ich komme zum vierten Punkt. Wir wissen, wie wichtig für diese Landesregierung die Digitalisierung ist. Sie haben sogar ein eigenes Ministerium dafür geschaffen. Sie wollen aber die Träger der Beratung, für die das Land aufzukommen verpflichtet ist, ohne jede finanzielle Unterstützung lassen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Wie soll denn das funktionieren?

Sie haben sich bisher geweigert, ein Förderprogramm zur Digitalisierung der Sozialwirtschaft aufzulegen. Die Träger verfügen aber über keine finanziellen Möglichkeiten. Bei den Sachkosten ist die Digitalisierung nicht vorgesehen.

Entweder entscheidet sich diese Landesregierung dafür, ein Innovationsförderprogramm für die sozialen Einrichtungen aufzulegen, von dem auch die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen profitieren, um damit die fachliche, technische, organisatorische und qualitätsgesicherte Weiterentwicklung digitaler und niedrigschwelliger Beratungsformate sicherzustellen, oder es wird notwendig sein,

Vizepräsidentin Karin Müller:

Frau Abg. Böhm, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

die Sachkostenpauschale entscheidend zu erhöhen. Zum Tag des sicheren Schwangerschaftsabbruchs gehört auch die Vorlage eines Gesetzes für eine gute Absicherung der Beratungsstellen. Das hat die Landesregierung verpasst. Ich erwarte bei der Anhörung Proteste und hoffe in der Folge dann auf Änderungen am Gesetzentwurf. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)