Reden im Landtag

Christane Böhm - Corona in der Arbeitswelt entschieden bekämpfen

Christiane Böhm
Christiane BöhmCoronaGesundheitWirtschaft und Arbeit

In seiner 66. Plenarsitzung am 4. Februar 2021 diskutierte der Hessische Landtag auf unseren Antrag hin über notwendige Regulierungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in der Arbeitswelt. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Ein Jahr Corona, und es gibt viele, die sich wünschen, dass die Inzidenzen es möglich machen, wieder in den gewünschten Alltag zurückzukehren. Aber mit Wünschen ist es nicht getan, insbesondere, wenn die Politik nur in wenigen Bereichen tatsächlich Ansteckungen verhindert. Die Gastronomie und der Einzelhandel wurden geschlossen, Kulturveranstaltungen untersagt, im privaten Umfeld erleben wir starke Einschränkungen.

Sie haben allerdings versäumt, die Lebensbereiche zu regulieren, in denen tatsächlich viele Ansteckungen stattfinden. Das sind zum einen ganz deutlich die Altenheime. Wir wissen, dass dort nicht nur mehr Infektionen stattfinden, sondern dass 60 % der mit und an Corona Gestorbenen in Hessen in Altenheimen gelebt haben. Mein Mitgefühl ist bei den Angehörigen und Familien, die sich oft nicht einmal von den im Heim lebenden Lieben verabschieden konnten. Wir wissen auch, dass mit mehr Personal und mehr Tests einiges hätte verhindert werden können.

Weiterhin gibt es viele Menschen, die keine Wohnung haben, in der sie Abstand halten können, ob sie in Gemeinschaftsunterkünften leben oder auf der Straße. Dazu gehören auch diejenigen, die in sogenannten Arbeiterunterkünften leben. Hier komme ich zu dem wesentlichen Bereich, der gar nicht und besonders in der aktuellen Phase nicht reguliert wird: die Arbeitswelt.

Es ist erfreulich, dass dieses Thema endlich in Bund und Land angekommen ist. Am 20. Januar dieses Jahres hat das Bundeskabinett die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung beschlossen. Lassen Sie uns anschauen, was bisher schon galt. Es galt die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m zu anderen Personen, das Tragen von Mund- und Nasenbedeckung, wo dies nicht möglich ist. Allerdings wäre eigentlich beides notwendig gewesen.

Aber schauen wir uns an, wie die Realität ist. Erzieherinnen und Kindertageseltern fallen dabei schon einmal heraus. Für die ist es nicht möglich. Kita-Beschäftigte haben laut Studie der AOK ein besonders großes Risiko, an COVID-19 zu erkranken. Sie waren von März bis Oktober 2020 am stärksten von Krankheiten im Zusammenhang mit COVID-19 betroffen. Ihre Erkrankungszahl liegt um mehr als das 2,2-Fache höher als der Durchschnittswert in der Bevölkerung.

Oder schauen wir auf den Flughafen Frankfurt. Wie mir Betriebsräte berichtet haben, haben dort Hubwagenfahrerinnen und -fahrer Einmalanzüge und Mundschutz zur Entladung von ihrem Arbeitgeber gefordert. Der Arbeitgeber, eine Tochterfirma der Lufthansa, sah überhaupt keinen Handlungsbedarf und kein Risiko für die Hubwagenfahrer. Obwohl es sich um Flugzeuge aus dem internationalen Verkehr gehandelt hat, wurden der Mund- und Nasenschutz und die Einmalanzüge verweigert.

Der Mindestabstand wird an diesen Arbeitsplätzen meist nicht eingehalten, auch gerade dort nicht, wo Bandarbeit stattfindet. Es gibt keine Abgrenzungslinien oder Plexiglas, nicht einmal Plastikscheiben zwischen den Kolleginnen und Kollegen, die den ganzen Tag nebeneinander arbeiten. Der Arbeitgeber verweist auf die hohen Kosten, dass es angeblich nicht machbar sei.

Es ist noch nicht lange her, dass der medizinische Mundund Nasenschutz konsequent zur Verfügung gestellt wird – inzwischen ist es so, aber erst nach vielen Monaten, in denen Ansteckungen stattgefunden haben.

Ähnliches gilt im Einzelhandel. Auch dort stehen Verkauf und Umsatz im Vordergrund. Auf Betriebsräte wird gerade in diesen Branchen ein ungeheurer, massiver Druck ausgeübt, sodass sie es schwer haben, die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Das ist heute die Realität in vielen Arbeitsbereichen, und dem müssen Sie sich einmal stellen.

(Beifall DIE LINKE)

Eine zweite Forderung aus der Zeit vor der Verordnung war: Arbeitgeber müssen Flüssigseife und Handtuchspender in Sanitärräumen bereitstellen. – Aber dafür muss es erst einmal Sanitärräume geben. Auf den Baustellen, in den Garten- und Landschaftsbetrieben ist das ganz oft nicht gegeben. Es gibt keine Toiletten, keine Waschgelegenheiten, kein Wasser, keine Seife – mit und ohne Corona. Dabei dachte ich immer, dass die Kampagne #klosfüralle nur für arm gehaltene Länder der sogenannten Dritten Welt gilt. Nein, das passiert auch hier. Wenn Sie es mir nicht glauben, reden Sie mit den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern der IG BAU.

Aber auch bei den Fahrten zur Baustelle und in den Baubuden werden Sicherheitsabstände nicht eingehalten. Wenn es Sanitäreinrichtungen gibt, sind die Kolleginnen und Kollegen schon froh, wenn diese mindestens alle zwei Tage gereinigt werden.

Ein anderes Beispiel, zufälligerweise auch vom Flughafen: In einem Betrieb wurde die Reinigung, mit der ein externes Unternehmen beauftragt war, stark heruntergefahren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten jetzt, zu CoronaZeiten, selbst reinigen und putzen. Die Türklinken wurden nicht mehr desinfiziert.

Für medizinisches Personal ist das regelmäßige Testen unbedingt erforderlich, zum einen für den eigenen Gesundheitsschutz und zum anderen, um zu verhindern, dass bei der Arbeit, bei der der Abstand nicht eingehalten werden kann und auch die Schutzausrüstung nicht immer alle Infektionen abhält, die erkrankten oder pflegebedürftigen Menschen angesteckt werden. So soll es sein.

Ich hatte hier schon einmal über die Abmahnung des Betriebsratsvorsitzenden des Uniklinikums Frankfurt gesprochen – Eigentümer ist das Land Hessen –, der mit seinen Kolleginnen und Kollegen öffentlich gemacht hat, dass nicht regelmäßig getestet wird.

Jetzt sind wir von einer Mitarbeiterin des UKGM in Marburg informiert worden, dass dort immer noch keine Tests stattfinden, obwohl wieder viele neue Patientinnen und Patienten kommen. Resigniert sagt sie, das Pflegepersonal habe keine Lobby. Da frage ich doch den Minister Klose: Wie sieht es mit Ihrer Aufsichtspflicht aus? Führen Sie sie überhaupt aus?

(Zuruf: Ei, ei, ei! – Gegenruf Jan Schalauske (DIE LINKE): Das ist eine berechtigte Frage!)

Ich will auf die neuen Vorschriften seit dem 20. Januar zu sprechen kommen, die bis zum 15. März gelten sollen. Da heißt es, Arbeitgeber sind verpflichtet, Homeoffice anzubieten. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen das Angebot annehmen, soweit sie können.

Viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben sich schon vorher geweigert, Homeoffice anzubieten. Sie sind skeptisch, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich genauso viel arbeiten, genauso fleißig, gut erreichbar, und gut funktionieren, wenn sie nicht mehr unter unmittelbarer Kontrolle sind. Da kommen solche Sprüche: Die einen sind fleißig, die anderen sind im Homeoffice.

Nach der neuen Verordnung scheint es in einigen Betrieben gerade so weiterzugehen. Bei Isuzu in Ginsheim-Gustavsburg wurde jetzt verkündet, dass Homeoffice grundsätzlich nicht möglich ist. Es wurde stattdessen ein Schichtmodell eingeführt. Eine Schicht arbeitet von 6 bis 14:30 Uhr, die andere von 14:30 bis 23 Uhr. Ich frage Sie: Wie soll man diese Arbeitszeiten mit einer Kinderbetreuung oder einer Pflegearbeit vereinbaren?

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Nur fünf Tage nach der Einführung dieser neuen Verordnung gab es im Regierungspräsidium schon 64 Anfragen und Beschwerden. Die Frage ist nur – auch nach der heutigen Diskussion –: Gibt es genug Personal, um sie zu bearbeiten? Oder ist es vielmehr so, wie ein Mitarbeiter dieser Behörde einschätzt, dass es sich um eine Alibiveranstaltung handelt?

Was ist jetzt wirklich zu tun? Da uns die Pandemie noch einige Zeit begleiten wird, gilt es, jetzt die Arbeitswelt Corona-gerecht zu gestalten, bis uns die Inzidenzen wieder einen einigermaßen gewohnten Alltag ermöglichen. Dazu ist Folgendes notwendig:

Hessen muss sich mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zusammensetzen, um einen Maßnahmenkatalog zu erstellen. Die öffentliche Verwaltung hat eine Vorbildfunktion. Ich kann nicht überprüfen, ob alles so stimmt, was Sie gestern und vorgestern über die Landesverwaltung erzählt haben. Aber in den kommunalen Verwaltungen sieht es noch sehr bescheiden aus. Auch wenn der Publikumsverkehr eingeschränkt ist, wird oft eine Anwesenheit verlangt. Es gibt oft auch keine entsprechende Ausrüstung. Hier ist das Land gefordert, die Kommunen entsprechend zu unterstützen. Dann kann es auch mit Nachdruck verlangen, dass mobiles Arbeiten umgesetzt wird.

Wichtig ist: Wir brauchen mehr Kontrollen in der Arbeitswelt. Ich habe nur einige Beispiele vorgestellt – ich hätte das noch sehr verlängern können –, wie wenig Coronakonform in Betrieben gearbeitet wird. Aber wer soll das machen? Die wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des RP Darmstadt?

Ich habe mir den Antrag von Schwarz-Grün noch einmal durchgelesen: Sie appellieren an die Arbeitgeber. Sie wünschen sich von den Arbeitgebern: Bitte, bitte, macht doch Homeoffice, macht Corona-gerechtes Arbeiten. – Sie gehen damit noch hinter die Bundesverordnung zurück. Was Sie da geboten haben, ist eine armselige Aktion, und zu Kontrollen haben Sie überhaupt nichts geschrieben. Also können wir davon ausgehen, dass genauso wenig weiter kontrolliert wird.

(Beifall DIE LINKE)

Produktion, die nicht erforderlich ist, muss eingestellt werden. Natürlich muss der Lohnausfall finanziert werden. Wir brauchen pandemiekonforme Unterkünfte. Auch hier braucht es eine Kontrolle, sodass weder zu Corona- noch zu anderen Zeiten 30 Leute in einem 1,5-Familienhaus leben müssen.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Frau Abg. Böhm, Sie müssen zum Schluss kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Danke schön. – Viele Beschäftigte wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen, wenn es Verstöße gegen die Bestimmungen gibt. Wir brauchen dringend einen WhistleblowerSchutz, um die Möglichkeit zu geben, sich tatsächlich zu beschweren.

Ich erwarte von dieser Landesregierung, dass sie die Unternehmen tatsächlich dazu bringt, die Infektionsgefahren am Arbeitsplatz zu verhindern. Dass Sie unsere Vorschläge aufnehmen, da habe ich schon gesehen – Herr Bouffier hat gemeint –