Reden im Landtag

Christiane Böhm zu Armut in Hessen

Christiane BöhmSoziales

In seiner 132. Plenarsitzung diskutierte der Hessische Landtag zum Thema Armut in Hessen. Dazu die Rede von Christiane Böhm, Sprecherin für soziale Teilhabe und gegen Armut.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich habe mir ganz verwundert die Augen gerieben, als ich diesen Titel der Aktuellen Stunde der Rechtsaußenpartei gelesen habe. Die haben wohl auf den Kalender geschaut und festgestellt, dass die Landtagswahl vor der Tür steht.

Das ganze Jahr wollen Sie die Partei der normalen Leute darstellen, wobei ich mit Ihrer Normalität niemals etwas zu tun haben will.

(Heiko Scholz (AfD): Mit Ihrer Armutspartei auch nicht!)

Zum Thema Armut haben Sie aber in vier Jahren und zwei Monaten nichts zu sagen gehabt. Jetzt kommen Sie mit Ihrem Antrag um die Ecke, in dem so viel Blödsinn steht, wie ich es in dieser Wahlperiode selbst in Ihren Anträgen kaum gelesen habe.

(Beifall DIE LINKE)

Sie behaupten, sich mit dem Landessozialbericht befasst zu haben. Ihr Antrag belegt aber vor allem eines: Sie haben diesen Bericht überhaupt nicht gelesen. Wenn Sie ihn gelesen haben, dann haben Sie ihn nicht verstanden. Und vor allem haben Sie überhaupt keine Ahnung, wie die Lebensrealität von armutsbetroffenen Menschen in diesem Land aussieht.

(Bernd-Erich Vohl (AfD): Das sagen Sie!)

Sie vergehen sich hier am Thema Armut, um Ihr ideologisches Süppchen zu kochen. Ja, das ist wirklich ein Vergehen; denn es geschieht auf dem Rücken von Menschen, die wirklich armutsbetroffen sind,

(Beifall DIE LINKE) fernab von allen tatsächlichen Erfahrungen, die arme Kinder und Jugendliche, Studierende, Alleinerziehende, Rentnerinnen und Rentner, Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit Beeinträchtigungen und weitere von Armut betroffene Personengruppen in diesem Bundesland machen. Dass Sie diese sozial benachteiligten Menschen als „sozial schwach“ bezeichnen, zeigt vor allem eines: die soziale Schwäche der AfD.

(Beifall DIE LINKE und Stephan Grüger (SPD))

Aber lassen Sie uns doch noch einmal die einzelnen Punkte Ihres Antrags durchgehen und schauen, inwieweit Sie auch nur im Entferntesten einen Bezug zur Lebensrealität von Armutsbetroffenen haben.

Zunächst erfinden Sie eine angebliche „fortschreitende Destabilisierung und Deindustrialisierung der … Wirtschaft“. Das ist schlicht Unfug.

(Volker Richter (AfD): Haben Sie gestern Abend noch gehört! – Heiko Scholz (AfD): Sie hätten mal mit den Leuten reden sollen! – Weitere Zurufe AfD)

Die deutsche Wirtschaft hat auch weiterhin den höchsten Industrieanteil aller G7-Staaten. Er ist fast doppelt so hoch wie in Frankreich, um nur ein Beispiel zu nennen. Nebenbei bedeuten viele Industriearbeitsplätze nicht automatisch auch existenzsichernde Arbeit, wie wir von vielen Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern wissen, die von ihrem Lohn kaum leben können.

Wer wirklich etwas für gute Arbeit bei gutem Lohn machen will – egal in welchem Sektor –, muss an der Seite der DGB-Gewerkschaften für höhere Löhne und gute Arbeitsbedingungen sowie für ein Verbot von Leiharbeit und Kettenbefristungen kämpfen. Aber davon will diese Rechtsaußenfraktion natürlich nichts wissen.

(Beifall DIE LINKE und Stephan Grüger (SPD) – Zurufe AfD)

Ihre zweite Behauptung lautet, schuld an der zunehmenden Armut in Hessen seien Maßnahmen des Klimaschutzes – das ist der Hauptgrund, warum Sie das Thema heute wieder aufbringen; das hat man in Ihrer Rede gehört –, aber auch die Energie- und Verkehrswende. Auch das ist natürlich ohne jeden Realitätsbezug.

Erst einmal handelt es sich bei Klimaschutzmaßnahmen um öffentliche und private Investitionen in Zukunftstechnologien,

(Zurufe AfD)

die natürlich auch positive Auswirkungen auf Beschäftigung und viele Gewerke – fragen Sie einmal Handwerkerinnen und Handwerker – haben. Schon das widerspricht Ihrer Behauptung.

Zweitens leiden gerade armutsbetroffene Menschen überproportional unter den Folgen von Umweltverschmutzung und Klimazerstörung – global, aber auch in Deutschland. Arme Menschen wohnen in schlecht gedämmten Häusern und haben auch deswegen viel höhere Energiekosten. Arme Menschen sind viel mehr auf einen bezahlbaren Nahverkehr angewiesen und würden deshalb von einer tatsächlichen Verkehrswende tatsächlich massiv profitieren. Arme Menschen wohnen an Hauptverkehrsstraßen und sind auch sonst schlechteren Umwelteinflüssen ausgesetzt. Die Folgen davon sind unter anderem Erwerbsunfähigkeit und häufig ein früherer Tod. Gegen all diese Schlechterstellungen braucht es einen forcierten sozial-ökologischen Umbau. Klimaschutz ist auch immer eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

(Beifall DIE LINKE und Stephan Grüger (SPD))

Sie begründen Armut drittens mit einer angeblich zu hohen Steuer- und Abgabenlast. Das ist natürlich auch Blödsinn.

(Volker Richter (AfD): Auch Blödsinn?)

Durch die Steuerfreibeträge zahlen Menschen mit geringen Einkommen, die trotz Erwerbsarbeit arm sind, in aller Regel gar keine oder nur sehr geringe Einkommensteuer. Menschen mit Transferleistungen würden Steuersenkungen natürlich noch weniger helfen.

(Volker Richter (AfD): Mehrwertsteuer! – Bernd-

Erich Vohl (AfD): Haben Sie schon mal was von Mehrwertsteuer gehört?)

Es wäre geradezu zum Totlachen, wenn es nicht so ein erstes Thema wäre, dass Sie die Steuerlast senken wollen, um den Vermögensaufbau zu erleichtern.

(Volker Richter (AfD): Sie können doch die Mehrwertsteuer senken, fertig, aus!)

Die einzigen Vermögen, die durch Ihre Steuersenkungen weiter profitieren würden, wären diejenigen der Millionäre und Milliardäre in diesem Land, die Ihnen deutlich am stärksten am Herzen liegen.

(Torsten Felstehausen (DIE LINKE): Einer muss doch spenden!)

Es ist aber schon so, dass in den Jahren 2020 und 2021 81 % des gesamten Vermögenszuwachses in

Deutschland an das reichste 1 % der Bevölkerung geflossen sind. Auf der anderen Seite haben im gleichen Zeitraum die ärmeren 50 % nur 1,3 % des Kuchens erhalten.

(Volker Richter (AfD): Deswegen zahlen die auch so viel Mehrwertsteuer!)

Das heißt, dass die meisten wirklich armen Menschen in diesem Land davon gar nichts abbekommen bzw. weiter die Treppe abrutschen. Weniger Steuern – das würde diese Spreizung nur noch weiter vorantreiben.

Sie haben vorhin Marcel Fratzscher zitiert – allerdings nur ausschnittsweise. Er hat nämlich auch gesagt:

Es gibt kaum ein Land auf der Welt, das Arbeit stärker und Vermögen – inklusive Erbschaften und Schenkungen – geringer besteuert als Deutschland.

Wir brauchen endlich eine Trendumkehr sowie eine angemessene und sozial gerechte Steuerpolitik, die Mehreinnahmen aus Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, höherem Spitzensteuersatz, Millionärsteuer und eine Abschöpfung der Krisengewinne dazu nutzt, dass existenzsichernde Sozialleistungen gezahlt sowie die Bezieherinnen und Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen wirksam entlastet werden.

(Beifall DIE LINKE – Volker Richter (AfD): Das ist doch die Mottenkiste des Sozialismus!)

Dafür steht DIE LINKE mit ihrem Steuerkonzept, aber in keiner Weise Ihre Fraktion.

Kommen wir zu Ihrem letzten Scheinargument, die aktuelle Inflation sei eine Auswirkung der Politik der Europäischen Zentralbank.

(Volker Richter (AfD): Natürlich! Geldmengenausweitung!)

Das ist nicht einmal mehr als naiv zu bezeichnen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Ihre Partei in ihrer Gründungsphase zur Euro-Krise noch vor dem Gelddrucken der EZB warnte und geradezu versucht hat, eine massive Inflation herbeizureden, die nie kam.

(Bernd-Erich Vohl (AfD): Sie haben wirklich keine Ahnung!)

Zehn Jahre später soll die EZB-Politik jetzt endlich doch dafür verantwortlich sein. Es ist doch genauso lächerlich wie monokausal, wie Sie hier Wirtschaftspolitik betrachten.

(Bernd-Erich Vohl (AfD): Oi!)

Die EZB hat im letzten Jahr eine Zinswende eingeleitet und macht genau das, was Sie eigentlich wollten, aber ohne Erfolg mit Blick auf die Inflation, die unvermindert anhält. Aber selbst diese simplen Fakten schaffen es nicht ansatzweise, in Ihren Hirnwindungen zu Selbstreflexion anzuregen.

Was sind denn nun wirklich die Ursachen für die aktuelle Inflation? Da sind insbesondere drei Faktoren in der globalen Wirtschaft zu erkennen.

Nummer eins: Seit Corona haben wir massive Störungen von globalen Lieferketten. Das führt zu Produktionsengpässen, die wiederum Waren verteuern. Das ist für die industrielle Produktion, aber auch für den Bausektor entscheidend bezüglich der Preissteigerungen.

Zweitens haben wir infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine einen globalen Energiepreisschock erlebt, wie es ihn seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren nicht mehr gab. Das hat natürlich mit direkten Preissteigerungen die Verbraucherinnen und Verbraucher getroffen, aber auch die Produktion sämtlicher Güter verteuert, weil wir in einer industrialisierten Gesellschaft natürlich eine hohe Abhängigkeit von Energieträgern haben.

Ein dritter, aber fast zu vernachlässigender Punkt sind die durch politische Auflagen bedingten Kostensteigerungen,

z. B. durch Lieferkettengesetze und durch besseren Arbeitsschutz im globalen Süden. Nichts davon, aber wirklich gar nichts hat mit der Geldpolitik der EZB zu tun.

Da die gesamte Analyse der Rechtsaußenfraktion völlig an den Fakten vorbeigeht, sind natürlich auch all ihre vermeintlichen Lösungsvorschläge zur Reduktion von Armut ebenso Hirngespinste.

(Zuruf Volker Richter (AfD))

Aber Ihnen geht es überhaupt nicht um eine wirksame Bekämpfung von Armut und gesellschaftlicher Spaltung. Die Spaltung der Gesellschaft ist Ihr politisches Anliegen. Nach oben buckeln und nach unten treten – daraus saugen Sie Ihre zerstörerische Ideologie.

(Erich Heidkamp (AfD): Ei, ei, ei! – Volker Richter (AfD): Ach, Frau Böhm! – Weitere Zurufe)

Wer wirklich eine solidarische und sozial gerechte Gesellschaft will, in der die Teilhabe aller Menschen gesichert ist, muss sich mit den Mächtigen in Politik und Wirtschaft anlegen, er muss sich dieser kapitalistischen Ausbeutungsmaschinerie entgegenstellen.

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Böhm, kommen Sie bitte zum Schluss?

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich komme gern zum Schluss. – Aber ich möchte noch sagen, was Karl Marx 1859 geschrieben hat:

(Zurufe AfD)

– Würden Sie mal still sein?

Es muss doch etwas faul sein im Innersten eines Gesellschaftssystems, das seinen Reichtum vermehrt, ohne sein Elend zu verringern, …

(Dr. Matthias Büger (Freie Demokraten) schüttelt den Kopf.)

Danke schön.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe AfD)