Reden im Landtag

Christiane Böhm - Öffentliche Daseinsvorsorge braucht gute Bedingungen und Planung

Christiane BöhmGesundheit

In seiner 131. Plenarsitzung am 22. März 2023 diskutierte der Hessische Landtag zum Thema Pflege. Dazu die Rede von Christiane Böhm, Sprecherin für soziale Teilhabe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich finde es gut, dass die SPD das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, auch, um einmal einen Realitätscheck zu machen: Was ist Versprechung – manchmal auch Versprecher –, was ist tatsächlich in der Realität angekommen? Ich denke, da sehen wir, dass viele Maßnahmen, die in dem CDU-Antrag stehen, noch auf einer Warteschleife sitzen und noch nicht bei den Menschen angekommen sind.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Wir dürfen nicht darauf warten, dass der Hessische Pflegebericht irgendwann in diesem Jahr einmal vorgelegt werden soll.

(Heiterkeit Stephan Grüger (SPD))

Wir wissen nie, wie lange das Jahr ist. Manche Sommer haben sich schon bis in den Dezember hineingezogen. Eigentlich wissen wir, welche Lücken es gibt. Da brauchen wir eigentlich nicht mehr so viele Berichte. Es gibt genügend. Frau Dr. Sommer hat vieles an Berichten vorgelegt, dicke Bücher, die viele von uns gar nicht schaffen zu lesen. Danke, dass Sie es für uns tun.

(Beifall Lisa Gnadl (SPD))

Aber sicher, wir brauchen mehr wissenschaftliche Begleitung dazu; das wäre notwendig. Was ich nicht glaube, ist, dass der Bericht vor der Landtagswahl vorgelegt wird. Ich glaube, wenn er nur einigermaßen realistisch ist, wird er eine bittere Situation schildern.

Ich will nur einmal sehr willkürlich ein paar Schlaglichter aus dem, was ich aktuell in der Pflegesituation erlebe und was ich zurückgemeldet bekomme, aufgreifen. Ich bekomme zurückgemeldet, dass Pflegeheime und ambulante Dienste ihren Bewohnerinnen und Bewohnern bzw. den Pflegebedürftigen die Pflegeverträge reduzieren oder sogar kündigen, weil sie die Kosten nicht mehr aufbringen können. Die Folge ist, dass pflegebedürftige Personen zunehmend in einem schlechten Gesundheitszustand in Krankenhäusern aufgenommen werden. Pflegefehler, deutliche Mangelerscheinungen an Flüssigkeit und Nahrung sind zunehmende Phänomene, mit denen gerade die Krankenhäuser im ländlichen Bereich und die kleineren Kliniken zu tun haben und es meistens auch nicht ordentlich vergütet bekommen, weil es keine ordentliche DRG ist.

Als LINKE möchten wir in dieser Gesellschaft nicht leben, wo es Menschen gibt, die sich Pflege nicht mehr leisten können und in eine Unterversorgung kommen, weil sie sich keinen Pflegedienst oder Heimplatz mehr leisten können. Wir brauchen deswegen dringend eine Pflegevollversicherung, bei der alle Pflegeleistungen tatsächlich finanziert werden.

(Beifall DIE LINKE)

Das zweite Schlaglicht resultiert daraus, dass es glücklicherweise eine längst fällige – und sicher auch noch nicht ausreichende – Erhöhung der Mindestlöhne und der Tariflöhne in der Pflege gibt. Die Nebenkosten sind in den Pflegeeinrichtungen ganz deutlich gestiegen, und auch andere finanzielle Belastungen kommen hinzu, auch aus CoronaZeiten, dass eine Reihe von Heimen und Einrichtungen insolvent geworden ist und auch geschlossen wurde.

Petra Heimer und Torsten Felstehausen haben vor Kurzem in einer Kleinen Anfrage nach der Insolvenz und Schließung von Einrichtungen des privaten Convivo-Pflegekonzerns gefragt. Sie wollten von der Landesregierung wissen, ob sie es als zielführend und verantwortungsvoll ansieht, dass die Einrichtungen von der Gesundheit Nordhessen Holding, das ist eine kommunale Gesellschaft, privatisiert wurden. Darauf bekamen wir zur Antwort:

Bereits mit Schöpfung der Pflegeversicherung war es die Wertung des Bundesgesetzgebers, privaten Trägern … gegenüber öffentlichen Trägern Vorrang einzuräumen. Aus Sicht der Landesregierung wird der angesichts des demografischen Wandels notwendige Ausbau der Pflegekapazitäten auch nicht ohne private Investitionen möglich sein.

Das kann schon sein, dass es nicht ohne private Investitionen geht. Das aber nur deshalb – und daran waren alle hier im Plenarsaal vertretenen Fraktionen intensiv beteiligt –, weil die Pflegeeinrichtungen einem gnadenlosen Markt mit Private-Equity-Fonds und Renditen selbst in Nullzinsphasen von 10 bis 15 % ausgesetzt wurden. Die Folgen dieses Handelns sind Pflegebedürftigen wie auch Pflegenden einfach nicht zuzumuten.

(Beifall DIE LINKE)

Ja, was die Landesregierung vorhat – wir hatten schon letztes Jahr im Juli darüber geredet –, dazu hat der Minister seinen berühmten Pflegebericht angekündigt. Heute haben wir erfahren, dass es sich um einen handlungsorientierten Bericht handelt. Mal schauen, was das ist. Aber immerhin haben Sie schon einmal gehört, dass es einen starken Widerspruch von uns gab, indem wir gesagt haben: Einen Bericht brauchen wir nicht. – Vielleicht finden wir dann doch eine Handlungsorientierung. Ich hoffe, dass Sie dem Auftragnehmer auch diesen Widerspruch aus dem Landtag mitgegeben haben; denn Berichte alleine werden uns nicht helfen.

Was tatsächlich zu tun ist, hat DIE LINKE mit ihrem Pflegeplan im letzten Jahr bereits vorgestellt. Ich möchte nur auf die wichtigsten Punkte eingehen.

Wir sind uns einig: Wir brauchen mehr Personal. Allerdings, wie man das schafft, ist dann noch einmal die andere Frage. Bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlungen sind unabdingbare Voraussetzungen. Aber das ist schnell gesagt. Es ist tatsächlich so, dass wir unseren Bedarf an Pflegekräften durchaus decken könnten, wenn diese 300.000 Vollzeitkräfte wieder in ihren Beruf zurückkehren würden oder ihre Arbeitszeit aufstocken würden, allerdings nur, wenn sich die Arbeitsbedingungen entscheidend ändern.

(Dr. Daniela Sommer (SPD): So ist es!)

Frau Sommer hat schon etwas zu den hessischen Zahlen gesagt, die wir brauchen, um den Pflegenotstand zu überwinden. Dazu muss die Pflege tatsächlich entlastet, angemessen entlohnt und tarifvertraglich geschützt werden.

Wir sind auch der Meinung, dass die zügige Einführung einer 30-Stunden-Woche für Pflegekräfte bei vollem Lohnausgleich eine sinnvolle Maßnahme wäre, die man in großen Schritten angehen sollte.

Auch bei den aktuellen Tarifauseinandersetzungen – Frau

Müller-Klepper, ich habe gehört, dass Sie gesagt haben: eine gute Bezahlung – müssten Sie ganz stark auf der Seite der Streikenden für einen bessern TVöD stehen.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Daniela Sommer (SPD))

In der letzten und in dieser Woche haben sich viele Beschäftigte gerade der kommunalen Kliniken an den Warnstreiks beteiligt. Eine Lohnerhöhung über der Inflationsrate ist dringend notwendig. Gerade die kleineren Einkommen müssen überproportional erhöht werden, und es gibt gerade in den Pflegeeinrichtungen ganz viele Menschen mit diesen kleineren Einkommen. Sie arbeiten z. B. in den Servicegesellschaften, deren Beschäftigte eben nicht nach TVöD bezahlt werden. In unserer Klinik im Kreis GroßGerau geschieht dies schon, aber ich muss nur in die Nachbarstadt schauen. Dort ist es nicht mehr so.

Das geschieht, obwohl die Kliniken in öffentlicher Hand sind, aber weil sie unter einem ungeheuren Druck stehen. Deshalb unterstützen wir die Streiks der Beschäftigten und fordern Nancy Faeser und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände auf, auf die Forderungen einzugehen und in der nächsten Woche ein sehr gutes Angebot vorzulegen.

(Beifall DIE LINKE – Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Tarifautonomie!)

– Auch in der Tarifautonomie werde ich weiter streiken gehen. – Wesentlich ist aber die Ausbildung. Da gibt uns die Große Anfrage einige Auskünfte. Ein Drittel der offenen Stellen für Pflegelehrkräfte an den Pflegeschulen konnte nicht besetzt werden. Keine Lehrkraft bedeutet aber auch: keine Ausbildung. Wenn die Schulen jetzt ihre Kapazitäten erweitern wollen, ist das gut. Wenn jetzt einige Lehrkräfte mehr ausgebildet werden, ist das ein kleiner Schritt. Aber sie sind noch nicht da, sie fangen jetzt erst an, und ein Viertel der Lehrkräfte geht in den nächsten Jahren in Rente. Das heißt, dass wir wesentlich mehr brauchen.

Was ganz besonders schlimm ist, ist durch die Daten bestätigt worden. Wir wussten es schon, aber es ist in der Tat zu sehen, dass ein Viertel der Auszubildenden die Ausbildung abbricht. Das ist nicht nur angesichts des Bedarfs zu viel. Das ist insgesamt zu viel, weil das für Jugendliche bedeutet, dass sie einen neuen Schritt in ihrer Ausbildung gehen müssen, und das ist nicht so einfach.

Deswegen brauchen die Auszubildenden gute Rahmenbedingungen, eine passgenaue Anleitung und Anleitungskräfte, die tatsächlich Zeit für sie haben. Sie dürfen auch keine Lückenbüßer des Fachkraftmangels sein.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Daniela Sommer (SPD))

Sonst passiert die Abstimmung mit den Füßen, und dann sind sie weg. Aber genau das muss verhindert werden.

Auch die Nachqualifizierung von Kräften, die ungelernt oder mit geringer Ausbildung in den Pflegeeinrichtungen arbeiten, muss unbedingt erfolgen; denn es gibt eine Menge Leute, die durchaus Interesse hätten, so etwas zu machen, aber es sich oft nicht leisten können. Hier ist auch das Land gefragt, so etwas zu unterstützen.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Daniela Sommer

(SPD))

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Böhm, kommen Sie bitte zum Schluss.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich wollte noch gar nicht zum Schluss kommen. Ich wollte Ihnen noch viel erzählen,

(Dr. Stefan Naas (Freie Demokraten): Sie kommt nie mit ihrer Redezeit hin!)

insbesondere dass die Bedingungen für die häusliche Pflege zu kurz kommen. Aber wenn Sie mich gerne zum Schluss kommen lassen möchten, kann ich Ihnen noch drei Zitate vom VdK und seiner Pflegekampagne nennen.

(Zurufe Freie Demokraten und AfD: Nein!)

Vizepräsidentin Heike Hofmann:

Frau Böhm, ich glaube, das wird zu lang.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Es sind kurze Zitate: „Pflege kann nur gut gehen, wenn es den Pflegenden auch gut geht.“ „Pflege soll bereichern, nicht arm machen.“ „Gebt uns endlich, was uns zusteht: Anerkennung und finanzielle Mittel für eine gute Pflege.“ – Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE – Torsten Felstehausen (DIE

LINKE): Auch wenn sie es nicht hören wollen! – Gegenruf Christiane Böhm (DIE LINKE): Das ist doch immer so!)