Reden im Landtag

Christiane Böhm: Neue Aufgaben, keine Finanzierung – so sagt Schwarzgrün ‚Danke'

Christiane BöhmGesundheit

In seiner 83. Plenarsitzung am 29. September 2021 diskutierte der Hessische Landtag zum Gesetz des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Es ist richtig, der öffentliche Gesundheitsdienst ist in unserem Land viel zu lange unter dem Radar der herrschenden Politik geflogen. Viel zu lang wurden die enormen Leistungen, die dort für unsere Gesellschaft erbracht wurden, ignoriert oder für selbstverständlich erachtet. Eine der wenigen guten Seiten dieser Pandemie ist es, dass die Arbeit von Gesundheitsämtern nun endlich die notwendige Wertschätzung erfährt. Deshalb auch von meiner Seite herzlichen Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Amtsärztinnen und -ärzten, den hessischen Gesundheitsämtern, nicht nur für die enormen Leistungen der vergangenen eineinhalb Jahre, sondern generell für ihr Engagement auf diesem wichtigen Feld der Gesundheitsarbeit.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich möchte daran erinnern, dass 2005 die Entscheidung getroffen wurde, dass die Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes weitgehend auf die Kommunen übertragen wurden. Dazu kann man unterschiedliche Auffassungen vertreten, fest steht jedoch eines: Die Kommunalisierung hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Ausstattung der Gesundheitsämter mit Fachpersonal heute extrem unterschiedlich ist. Außerhalb der großen Städte sind enorme Vakanzen feststellbar. Im Gesundheitsamt des Vogelsbergkreises gibt es nicht einmal eine Amtsärztin bzw. einen Amtsarzt mit einer Fachweiterbildung für öffentliches Gesundheitswesen, wie unser Berichtsantrag im Februar dieses Jahres belegt. In vielen Kreisen und kreisfreien Städten sehen wir teils ein Drittel der Arztstellen unbesetzt. Dieser Zustand ist seit Jahren so.

Mit diesem Gesetzentwurf ändern Sie aber nicht die finanzielle Misere der Kommunen. Sie sind nicht bereit, mehr als eine einheitliche Software zu finanzieren. Nicht zuletzt zeigt Corona die Notwendigkeit: Schaffen Sie endlich die Voraussetzungen für gleiche Lebensverhältnisse im Land.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Gleichzeitig übertragen Sie mit dem Gesetz zahlreiche neue Aufgaben bzw. legen diese nun schriftlich verbindlich fest: Bevorratung von Schutzkleidung, Aufbau lokaler Strukturen zur Prävention von Pandemien, Impfdatenerfassung, nicht nur bei Corona, Gewaltprävention und Kinderschutz, kommunale Gesundheitskonferenzen, regionale Vernetzung der Gesundheitsämter, die Entwicklung integrierter Gesundheitsstrategien usw. Die Aufgaben selbst sind unstrittig. Wenn Sie dafür aber nicht die notwendigen Mittel bereitstellen und es schon jetzt an Personal fehlt, wie sollen das die Kommunen denn, bitte schön, leisten?

Ich fordere Sie auf: Schieben Sie weitere Veränderungen nicht auf die lange Bank. Unseren Vorschlag aus dem Mai letzten Jahres, eine öffentliche Anhörung zur Zukunft des ÖGD in Hessen durchzuführen, haben Sie leider abgelehnt. Das sollte Sie aber nicht daran hindern, im nächsten Jahr ein solches Format aufzulegen, um die notwendigen Änderungen tatsächlich anzugehen, und nicht bis 2024 zu warten.

(Beifall DIE LINKE)

Es gibt aber einen Punkt, den ich schon vor der Anhörung sehr kritisch sehe. Dabei geht es mir um Ihren neuen Vorschlag für die Ausstattung der Gesundheitsämter. In § 3 Abs. 1 heißt es, es müsste „im Rahmen der verfügbaren Stellen“ Fachpersonal „in ausreichender Zahl“ vorhanden sein. Was heißt das denn? Das ist vollkommen unkonkret und zementiert die Situation, die ich schon beschrieben habe und die sich auch in unserem Berichtsantrag wiederfindet. Wenn Sie den „verfügbaren Rahmen“ an Stellen und finanziellen Mitteln nicht nach unten absichern und schwammig bei einer nicht definierten „ausreichenden Zahl“ von Fachstellen verbleiben, dann werden wir weiterhin komplett ungleich ausgestattete Gesundheitsämter haben, die im Fall einer Krise in vielen Fällen und selbst im Alltagsgeschäft überfordert sein werden. Diese vielen Aufgaben, die Sie ihnen ins Gesetz geschrieben haben, können mit dieser Personalausstattung zumeist nicht erfüllt werden.

Stattdessen braucht es klare Vorgaben, wie viele Amtsärztinnen und Amtsärzte sowie andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus welchen Professionen es pro Kopf der zu versorgenden Bevölkerung mindestens braucht. Das hindert keine Kommune daran, draufzusatteln, wenn es besondere Herausforderungen vor Ort gibt. Aber es verhindert, dass die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung wieder einmal und auch in diesem Bereich von der Wahl des Wohnortes abhängig ist.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Frau Böhm, kommen Sie bitte zum Schluss?

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ja. – Sorgen Sie dafür, dass die zumeist schon jetzt finanziell völlig überforderten Kommunen in der Lage sind, für einen guten öffentlichen Gesundheitsdienst zu sorgen. Ich gehe davon aus, dass dies in der Anhörung eine gewichtige Rolle spielen wird. Klären Sie die Finanzierung schnell. Die mangelnden Ressourcen fallen uns nicht erst in der Pandemie auf die Füße. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)