Reden im Landtag

Christiane Böhm - Fokus auf digitalen Bildungsurlaub gefährdet den gesellschaftspolitischen Auftrag

Christiane BöhmSozialesWirtschaft und Arbeit

In seiner 117. Plenarsitzung am 13. Oktober 2022 diskutierte der Hessische Landtag zur Verabschiedung des überarbeiteten Bildungsurlaubsgesetzes. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Herr Präsident, meine Damen und Herren!

Es ist ja schön, dass alle den Bildungsurlaub wollen. Das ist schon einmal eine gute Voraussetzung. Er ist auch ein wesentlicher Bestandteil und Baustein des lebenslangen Lernens, und vor allem muss die gesellschaftliche Bildungsarbeit deshalb bestmöglich gefördert werden.

Ziel des Bildungsurlaubs ist es, Durchblick zu schaffen, Demokratie und politische Beteiligung sowie die Konfliktfähigkeit zu fördern, selbstbewusst zu werden und bei der Bewältigung des beruflichen und sonstigen Stresses zu helfen.

Dass politische Bildung wesentlich für die Persönlichkeitsentwicklung ist, ist in diesem Parlament unschwer zu erkennen. Wir würden uns freuen, wenn alle in den Genuss einer umfassenden politischen Bildungsarbeit gekommen wären, wenn sie sich mit Geschichte, Demokratie, Klimawandel und Geschlechtergerechtigkeit intensiv beschäftigt hätten. Dann müssten wir uns nicht solche substanzlosen, aber gleichzeitig erschreckend antifeministischen und rassistischen Reden anhören.

(Beifall DIE LINKE)

Auch für die berufliche Bildung kann Bildungsurlaub genutzt werden. Hier ist es ab und an auch möglich, Onlineformate anzubieten. Bei der politischen Bildung darf das aber nur die absolute Ausnahme sein; denn es geht hier um persönliche Begegnung, den Austausch mit Menschen, das Erlernen demokratischer Prozesse, die Förderung von kritischen Persönlichkeiten, die Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Macht, die Erarbeitung neuer Kompetenzen, das Erleben einer anderen Region und Gesellschaft – das kann man schlecht per Videoformat –, die Entwicklung zur mündigen Bürgerin, zum mündigen Bürger. Das alles braucht tatsächliche Begegnung und die Freude am unmittelbaren Austausch.

(Beifall DIE LINKE)

Aber vielleicht wollen das weder Landesregierung noch FDP? Wir als LINKE sehen den Bildungsurlaub als Chance – gerade auch für diese Gesellschaft –, sich besser zurechtzufinden, eigene Standpunkte zu entwickeln, sich mit Rassismus und Rechtsextremismus oder auch mit Ableismus und Diskriminierung auseinanderzusetzen. Deshalb meinetwegen online, wenn es nicht anders geht, aber Lernen braucht den unmittelbaren Kontakt mit Menschen. Also ist man offline doch viel näher dran.

(Beifall DIE LINKE)

Einige Änderungen im Gesetzentwurf der Landesregierung folgen durchaus einer richtigen Intention: Die Beantragung von Bildungsurlaub soll leichter und unbürokratischer sein, mit der Flexibilisierung kommen Sie auch den Bedürfnissen von Teilzeitbeschäftigten entgegen. Auch die Ausarbeitung der Ehrenamtsbereiche ist durchaus begrüßenswert. Wenn Sie allerdings Bürokratieabbau ernst nehmen würden, stimmen Sie dem Antrag der SPD zu. Das werden wir auch tun, allerdings hält uns die nahezu schrankenlose Öffnung der Onlineformate davon ab, dem Gesetzentwurf unsere Unterstützung zu geben.

Onlineformate braucht es nicht für die Umsetzung des Bildungsurlaubs, sondern für die Kommunikation zwischen Ministerium und Anbieter, damit nicht länger alles postalisch beantragt werden muss. Hier wäre der Einsatz von digitaler Technik wesentlich sinnvoller.

(Beifall DIE LINKE und Turgut Yüksel (SPD))

Wichtig ist für uns als LINKE, aber auch für viele Bildungsträger und die Gewerkschaften, dass es nicht zu einer weiteren Bevorzugung beruflicher Bildung kommt. Wenn der Arbeitgeber will, dass sich jemand fortbildet, dann muss er das auch finanzieren. Wesentlich ist für uns, dass der Bildungsurlaub stärker den Beschäftigten angeboten wird und auch angenommen werden kann, ohne dass man Nachteile im Betrieb befürchten muss. Wichtig ist uns, dass die Unterfinanzierung des Weiterbildungsbereichs beendet wird.

Auch hier finden wir wieder die bekannten chronischen Erkrankungen der Landesregierung – Projektitis in Verbindung mit der zweiten chronischen Erkrankung, der Bürokratitis. Der Anteil an Projektfinanzierung und der damit verbundene Aufwand im Bereich der Mittelakquise, Mittelverwaltung und Berichtlegung sind für die Weiterbildungsanbieter erheblich gestiegen. Da fehlt aber auch noch eine Gegenfinanzierung. Das heißt, sie sind weiter belastet. Das ist eine schwere Bürde.

Ich möchte noch einmal auf den Beginn zurückkommen. Politische Bildung, richtig gemacht, hilft gegen rechte Ideologien. Das alleine ist Grund genug, sie mit viel Energie auszustatten. – Danke.

(Beifall DIE LINKE)