Reden im Landtag

"Wir brauchen eine Psychiatrie, die ohne Zwang auskommt und die gut mit Personal ausgestattet ist!"

Christiane Böhm
Christiane BöhmGesundheitSoziales

Patientenwohl und Arbeitsbedingungen in der Akutpsychiatrie müssen im Vordergrund stehen – Hessens Sozialminister Klose

muss seiner Verantwortung endlich gerecht werden und die Vorgänge im städtischen Klinikum Frankfurt Höchst lückenlos aufklären (Antrag Aktuelle Stunde Fraktion der SPD, Ds. 20/426)

 

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste!

Die Schilderungen in dem Wallraff-Bericht sind verstörend. Weder die Fixierungen noch die improvisierten Arztvisiten wirken vertrauenerweckend. Wenn es einen Umgang dieser Art mit kranken Menschen gibt, ist dies würdelos und völlig inakzeptabel.

(Beifall DIE LINKE)

Die Landesregierung muss hier wirklich schnell und wirksam tätig werden. Ich danke Ihnen, Frau Sommer. Sie haben vieles dazu gesagt, was ich nicht zu wiederholen brauche. Ich denke, ich kann mich dem vollständig anschließen. Die Landesregierung muss klären, ob es in dieser Klinik besonders viele Unterbringungsmaßnahmen und Fixierungen gab, wie die Personalsituation aussieht, was die Überlastungsanzeigen der Pflegekräfte aussagen und wie die Aufsichtspflicht so gestaltet werden kann, dass solche Zustände nicht stattfinden können. Da reicht es mir nicht aus, wenn eine angekündigte aktuelle Begehung keine Vorwürfe erhärtet hat. Das kann doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Das ist aber nur ein Symptom, ein Hinweis darauf, dass wir unseren Blick auf die Psychiatrie zu richten haben. Ich bin dankbar für den Wallraff-Bericht, dass wir das wieder in den Fokus nehmen und uns damit beschäftigen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich habe viele Berichte aus hessischen psychiatrischen Kliniken gehört und auch selbst im Kontakt mit Angehörigen sowie Klienten und Klientinnen erlebt, dass es dort nicht immer akzeptabel zugeht. Die meisten Berichte erhalte ich allerdings von den Angehörigen aus der Forensik. Ich möchte aber eine Psychiatrie in Hessen haben, wo niemand Angst haben muss, in einer seelischen Krise Hilfe zu finden.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb will ich daran erinnern, was DIE LINKE damals bei der Verabschiedung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes gesagt hat. Sie hat damals gesagt, Sie haben „ein schlechtes Gesetz [verabschiedet], das in vielen Punkten nicht mit der Verfassung und der UN-Behindertenrechtskonvention übereinstimmt“. Wir haben mit vielen anderen Organisationen und Expertinnen und Experten festgestellt: Psychisch Kranke brauchen Krisendienste, wie es sie in Oberbayern, in Schleswig-Holstein, in Berlin, aber auch im Raum Darmstadt gibt. Es gibt sie aber nicht flächendeckend in Hessen. – Wir haben gesagt, mit diesem Gesetz verhindern Sie keine stationären Aufenthalte, keine Unterbringungen und keine Zwangsmaßnahmen. Das Gesetz führt, genau wie wir das im Bericht gesehen haben, zu überfüllten Akutstationen. Wir brauchen aber endlich aufsuchende Krisendienste, wir brauchen Krisenpensionen und mobile Behandlungsteams, eine integrierte Versorgung mit integrierter psychotherapeutischer Versorgung. Ich gehe weiter: Wir brauchen eine Reform der Psychiatrie in Hessen. Es scheint uns – und damit bin ich mir wohl mit einigen Experten und Expertinnen einig; das habe ich erst letzte Woche Freitag festgestellt –, dass wir an die Veränderungsprozesse und die Diskussionen der Siebziger- und Achtzigerjahre anknüpfen sollten. Ich erinnere nur an die Psychiatrie-Enquete 1975. Wir müssen uns einem neuen Reformprozess unterziehen. Genau das ist in Hessen erforderlich. Wir müssen uns hier auch mit den Positionen führender Psychiater auseinandersetzen. Wir brauchen eine Psychiatrie der offenen Türen, die stationär
und ambulant im Interesse der Betroffenen tätig wird. Wir brauchen z. B. mehr Psychotherapie, auch im
stationären Bereich. Zwölf Minuten pro Woche und Patient sind ein Hohn und ein Spott; damit kann man keine therapeutische Behandlung durchführen. Wir brauchen aber auch mehr ambulante Psychotherapie. Da hilft uns auch das aktuelle Terminservicegesetz nicht. Es kann nicht sein, dass jemand monatelang auf einen Therapieplatz wartet und es dann entnervt aufgibt. Das sind oft genug Patientinnen und Patienten, die letztendlich im stationären Bereich landen, obwohl das überhaupt nicht notwendig wäre.

(Beifall DIE LINKE und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD))

Wir brauchen eine Psychiatrie, die ohne Zwang auskommt und die gut mit Personal ausgestattet ist. Das ist das absolute Erfordernis. Das gilt insbesondere für die Akutstationen, die meistens zu groß sind, sodass Menschen in einer psychischen Krise dort gar nicht mehr zur Ruhe kommen können, weil sie mit so vielen anderen Patientinnen und Patienten konfrontiert sind. Die aktuelle Psychiatriepersonalverordnung entspricht nicht mehr den Anforderungen. Allerdings müssen auch die gültigen Leitlinien umgesetzt werden. Gerade ist eine
neue Leitlinie zur Schizophrenie herausgegeben worden, die aussagt, dass Menschen mit einer Schizophrenie befähigt und in die Lage versetzt werden sollen, ihre Interessen selbst durchzusetzen, sich zu organisieren – –

Präsident Boris Rhein: Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit überschritten.

Christiane Böhm (DIE LINKE):
Danke. – Sie sollen selbst bestimmen können, und ein Empowerment ist notwendig. Ich erwarte, dass eine hessische Psychiatrie selbstverständlich die aktuellen Leitlinien umsetzt und dafür sorgt, dass eine gute Behandlung möglich ist. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD)