Reden im Landtag

"Sie enttäuschen die Menschen mit Beeinträchtigungen und ihre Organisationen zum zweiten Mal in kurzer Zeit"

Christiane Böhm
Christiane BöhmGesundheit

Zweites Gesetz zur Änderung des Hessischen Behinderten-Gleichstellungsgesetzes (Gesetzentwurf der Fraktion der CDU und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DS.20/178)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich hatte ja ein bisschen Hoffnung.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Die Hoffnung soll man nicht aufgeben, sie stirbt zuletzt. Ich hatte Hoffnung, als Sie Ende des letzten Jahres Ihren Gesetzentwurf zum Behinderten-Gleichstellungsgesetz zurückgezogen haben.

Ich hatte die Hoffnung, dass Ihnen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schwarz-Grün die umfangreiche Kritik der Non-Profit-Organisationen nicht nur überbracht, sondern auch deutlich gemacht haben, dass der Gesetzentwurf so, wie er ist, nicht weiterbestehen kann. Aber leider ist von der Kritik der Organisationen und der Behindertenverbände, die massiv war, sehr wenig umgesetzt worden. Sie enttäuschen damit die Menschen mit Beeinträchtigungen und ihre Organisationen zum zweiten Mal in kurzer Zeit.

Ich kann durchaus sehen, dass bestimmte Dinge aufgenommen worden sind. Nach langem Kampf, muss ich sagen, gibt es jetzt eine hauptamtliche Landesbeauftragte – darauf haben Sie gerade hingewiesen –, aber das ist auch notwendig. Ich denke, jeder, der in den letzten Jahren im Sozialpolitischen Ausschuss oder auf diesem Themenfeld tätig war, hat gesehen, welche großen Herausforderungen und Anforderungen das bedeutet. Sie haben der Landesbeauftragten auch die Aufgabe gegeben, Mustersatzungen zu entwickeln. Das fand ich besonders prickelnd. Das hat mir besonders gut gefallen. Ich denke, die jetzige Beauftragte kann wesentlich mehr; und Sie werden sicherlich eine neue bestellen oder die jetzige wiederbestellen, allerdings ist mir noch keine bekannt. Auf jeden Fall ist es Zeit geworden, diese Funktion aufzuwerten.

Auch, dass der Inklusionsbeirat endlich im Gesetz steht, ist erfreulich. Es ist auch erfreulich, dass dieser zur Mehrheit aus Menschen mit Behinderungen besteht. Auch die Schwerbehindertenvertretungen tauchen auf. Das Kriterium der Auffindbarkeit bei der Barrierefreiheit ist ganz wichtig; auch das ist aufgenommen worden. Aber das sind nur ein paar wenige positive Änderungen, und diese sind leider halbherzig. In Thüringen beispielsweise wird die Landesbeauftragte vom Landtag gewählt. Sie hat eine ganz andere Position, eine wesentlich wichtigere und bedeutendere Position. Ich denke, das würde auch ihrer Aufgabe entsprechen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

– Danke schön. – Die Vorschläge für die Besetzung dieser Position kommen aus dem Inklusionsbeirat selbst, der nur mit Menschen aus Behindertenorganisationen besetzt ist, sowie von den Fraktionen; diese dürfen auch vorschlagen. Aber Sie können sich gern – ich habe es gestern, glaube ich, schon einmal gesagt – mit Thüringen in Verbindung setzen, um von deren Erfahrungen zu profitieren.

Ich denke, der Gesetzentwurf drückt sich um eine Menge von Problemen, die in der Anhörung genannt worden sind. Zumindest einige will ich aufführen: die selbstbestimmte Wahl der Wohnform. Es ist selbstverständlich, dass Menschen mit Behinderungen selbst entscheiden sollen und müssen, wo und in welcher Wohnform sie leben möchten. Das muss aber ausdrücklich festgehalten werden, sonst kommt es aus Kostengründen immer zu bestimmten Wohnformen in Einrichtungen oder in betreuten Wohngemeinschaften, die sie vielleicht nicht möchten.

Die Taubblinden kommen nicht so vor, wie es eigentlich notwendig wäre. Sie schreiben noch immer „Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung“. Zumindest die älteren Kolleginnen und Kollegen, die damals bei der Anhörung im Ausschuss dabei waren, haben doch eindrücklich festgestellt, dass es auch Menschen gibt, die beide Behinderungen haben und natürlich eine ganze besondere Form der Kommunikation brauchen. Daher ist es notwendig, dass das Lormen auch in den Katalog mit aufgenommen wird.

(Beifall DIE LINKE)

Psychische Erkrankungen werden nicht erwähnt; deren Bedarf spielt keine Rolle. Finanzielle Mittel zur Umsetzung sind nicht ausgewiesen. Die Kommunen bleiben weitgehend außen vor oder sind nur als Freiwillige eingebunden, um das Konnexitätsprinzip zu umgehen. Das verstehe ich von Ihrer Seite natürlich. So machen Sie das ja mit dem Konnexitätsprinzip der Verfassung, das eigentlich nicht das Papier wert ist, auf dem es steht, weil Sie nie etwas ins Gesetz hineinschreiben, sodass irgendeine Kommune irgendwann einmal einen Anspruch entwickeln könnte.

(Holger Bellino (CDU): Was Sie alles wissen!)

– Ja, das weiß ich; als Kommunalpolitikerin weiß ich das. Damit habe ich oft genug zu tun.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann wäre das auch geklärt!)

Ich denke, weitere Verpflichtungen wären notwendig, gerade auch auf kommunaler Ebene, um die Situation zu verbessern. Gerade hier ist es notwendig, dass Menschen eingebunden und die Bedürfnisse und der Bedarf von Menschen mit Behinderungen mehr berücksichtigt werden. Es ist notwendig, eine Vorgabe zur hauptamtlichen Behindertenbeauftragten zu machen, zur Leichten Sprache, zu Berichtspflichten.

Besonders interessant ist aber – denn eigentlich war es notwendig, diesen Gesetzentwurf aufzulegen, weil Normen aus der EU-Richtlinie zu barrierefreien Webseiten und mobilen Anwendungen umgesetzt werden mussten –, dass dies im letzten Jahr nicht geglückt ist, weil Sie zwar einen Gesetzentwurf eingereicht und hierzu einen Änderungsantrag gemacht haben, aus lauter Panik aber alles zurückgezogen haben.

Jetzt sind Sie aber wesentlichen Entscheidungen im Gesetz wiederum nicht gefolgt; und Sie dürfen das nicht in eine Verordnung auslagern, denn das ist ein Verstoß gegen das Wesentlichkeitsgebot. Ich glaube, auch die Verwaltung muss verpflichtet werden, ihre Internetanwendungen und elektronischen Akten innerhalb einer kurzen Zeit barrierefrei zu gestalten. Nur so lassen sich angesichts des digitalen Wandels Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigungen langfristig sichern.

Ich sage Ihnen: Da gibt es ganz viele Befürchtungen, gerade von Menschen mit Hör- und Sehbeeinträchtigungen. Sie merken, dass sie, wenn die Barrierefreiheit im Internet nicht gestaltet wird, ihre beruflichen und kommunikativen Möglichkeiten aufgrund der digitalen Situation verlieren. Aber auch andere Dinge wie das Kompetenzzentrum Barrierefreiheit stehen nicht drin. Auch die privaten Unternehmen spielen keine Rolle. Auch das ist mit in die UN-Richtlinie aufgenommen worden, sowie andere Dinge.

Ich will gar nicht alles aufzeigen, was im Gesetzentwurf alles fehlt. Ich denke, die Anhörung im Ausschuss wird das aufzeigen; Sie werden das zu hören bekommen. Entscheidend ist, wie Sie, die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, nun mit dem Gesetzentwurf umgehen. Sie haben im letzten Jahr mit Ihrer Weigerung, im Ausschuss eine mündliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchzuführen, einen riesigen Schaden angerichtet. Das wiedergutzumachen wäre nur möglich, wenn Sie Ihren Gesetzentwurf möglichst schnell nach den Vorschlägen der Verbände – und nur diese habe ich heute vorgetragen, und nur einen kleinen Teil davon – überarbeiteten.

Boris Rhein: Frau Kollegin, ich muss Sie auf die Redezeit hinweisen.

Christiane Böhm (DIE LINKE): Sie haben gesagt, Sie wollten „Barrieren abbauen“. Bauen Sie diese Barriere ab, und machen Sie auf jeden Fall eine ordentliche Anhörung zu diesem Gesetzentwurf. Das ist dringend erforderlich. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)