Reden im Landtag

Einführung einer Impfpflicht gegen Masern

Christiane Böhm
Christiane BöhmGesundheit

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

um es gleich voranzustellen: Impfungen bieten den verlässlichsten und umfassendsten Schutz gegen zahlreiche schwere Erkrankungen. Impfungen immunisieren nicht nur die geimpfte Person, sondern garantieren auch, dass Menschen, die nicht oder noch nicht geimpft werden können, vor einer Infektion bewahrt werden. Mögliche Nebenwirkungen und so genannte Impfschäden stehen in keiner Relation zu den möglichen gesundheitlichen Folgen einer Epidemie (man spricht bei schwerwiegenden Impfschäden von einer Häufigkeit von 1: 12 Millionen). Ich kann mich an die Kampagnen und Impfungen in den Schulen in meiner Kindheit erinnern mit dem Slogan: „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“. Mit der Einführung der Impfung im Jahr 1961 sank die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle dramatisch. Die Poliomyelitis-Epidemien hatten Tausende das Leben gekostet und Hunderttausende in ein Leben mit schwersten Behinderungen gestürzt. Es gibt in Deutschland seit zwanzig Jahren keinen einzigen Fall von Kinderlähmung mehr.

Das Erfreuliche ist: Diese Positionen werden von fast allen Menschen in Deutschland geteilt. Wirkliche Impfgegnerschaft kann nach aktuellen Schätzungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nur ca. 3% der hier lebenden Menschen bescheinigt werden. Impfgegnerinnen und -gegner sind zwar ein Risikofaktor, aber keine Gefährdung der nach WHO-Empfehlungen erstrebten Impfquote von 95 Prozent der Bevölkerung. Unser Problem lautet nicht in erster Linie Impfgegnerschaft sondern höchstens Impfmüdigkeit.

Impfmüdigkeit bedeutet, dass angesichts der Seltenheit von Epidemien viele Menschen bezüglich der eigenen Impfungen und auch Eltern bei der Impfung ihrer Kinder nachlässig werden. Das ist auch kein Wunder. Im Gegensatz zu der Ziffer 1 im Antrag der SPD und Ziffer 2 des FDP-Antrags sind die Masernfälle in Hessen nicht deutlich gestiegen. Es handelt sich dabei in den sechs Jahren zwischen 14 und 98 Masernfälle pro Jahr in Hessen. 2018 waren es 38 Fälle. Wobei jede Masernerkrankung, die zu schweren Folgeerkrankungen führen kann, eine zu viel ist.

Deshalb müssen wir Wege finden, um hier besser zu werden. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Masern-Impfpflicht, die an das Besuchsrecht von Betreuungseinrichtungen und Schulen gekoppelt wird, hierfür der richtige Weg ist.

Der „Nationale Aktionsplan 2015-2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland“ benennt zunächst drei Hauptzielgruppen: Kinder im Alter von 11 bis 24 Monaten, die 10- bis 17jährigen und Erwachsene, diejenigen, die nach 1970 geboren wurden. Schaut man sich die zugrundeliegenden Untersuchungen genauer an, fällt auf, dass bei den Kleinkindern die zu späte Impfung kritisiert wird. Diese wird oft noch im dritten oder vierten Lebensjahr oder zum Schuleintritt nachgeholt. Das ist zu spät, erfolgt aber immerhin. Bei den nach 1970 Geborenen – die auch eine zahlenmäßig viel größere Personengruppe sind – existiert oft gar kein genaues Wissen über den eigenen Impfstatus. Daraus leite ich ab, dass für die Immunisierung der Gesamtbevölkerung, den so genannten „Herdenschutz“, eine regelmäßige Erinnerung der Eltern von Kleinkindern erforderlich ist, aber von der Anzahl der Personen her die Zielgruppe der nach 1970 Geborenen viel entscheidender ist. Diesen Personenkreis erreichen wir mit einer Impfpflicht für Kinderbetreuungseinrichtungen deutlich nicht.

Hinzu kommt, und darauf hat auch der Hessische Städtetag zu Recht hingewiesen, dass der derzeit vorliegende Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium noch große Leerstellen aufweist. Der Hessische Städtetag führt als Beispiel die Inobhutnahme eines Kindes aufgrund einer akuten Gefährdungslage auf – nach der derzeitigen Vorlage müsste erst der Impfstatus geprüft werden, ehe die Inobhutnahme erfolgen kann. Wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass das nicht das Ergebnis einer Impfpflicht sein darf.

Ich möchte noch auf ein zweites, vergleichbares Problem hinweisen. Die Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz war ein wirklicher und wichtiger sozialpolitischer Fortschritt. Und so viel Kritik ich auch an der mangelhaften Umsetzung dieses Rechtsanspruches habe, warne ich davor, den Kita-Rechtsanspruch auf diese Art und Weise zu durchlöchern.

Und mit Blick auf den Gesetzentwurf von Herrn Spahn: die zweite Masern-Schutzimpfung soll laut der Ständigen Impfkommission zwischen dem 15ten und 23ten Monat erfolgen. Heißt das, dass kein Kind unter 15 Monaten mehr in eine Kita gehen darf, weil es vorher keinen wirksamen Masernschutz hat? Solche Fragen lässt der aktuelle Stand des Gesetzesentwurfes unbeantwortet.

Ich denke, dass wir über andere Dinge nachdenken sollten, um einen umfassenden Impfschutz der Gesamtbevölkerung zu erreichen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie in früheren Jahren dank großer Impfkampagnen nicht die Menschen zum Arzt gehen mussten, sondern der Öffentliche Gesundheitsdienst in Kitas, in Schulen und auch in großen Betrieben vorstellig wurde, um den Impfstatus zu überprüfen und gegebenenfalls Schutzimpfungen direkt vor Ort zu verabreichen. Heute ist der Öffentliche Gesundheitsdienst jedoch soweit zusammengespart worden, dass er zu solchen Kampagnen nicht annähernd in der Lage wäre. Vielleicht sollten wir über diese Fragen einmal reden und eine Stärkung des ÖGD in Hessen als Schussfolgerung angehen, damit dieser wieder vor Ort gehen und flächendeckend impfen, aber auch hinsichtlich weiterer Präventionsmaßnahmen aktiv werden kann.

Wir müssen auch darüber nachdenken, warum es noch immer kein zentrales datensicheres Impfregister in Deutschland gibt. Alle Zahlen des Robert-Koch-Instituts zum Impfstatus der Bevölkerung sind Schätzungen. Außerhalb der Früherkennungs-Untersuchungen gibt es kein System der Erinnerung an notwendige Schutzimpfungen oder auch Erinnerungen zu Auffrischungen. Ein Register, zu dem Patientinnen und Patienten jeweils den Zugang freischalten müssen, wäre hilfreich, bevor alle unter ihrem Sofa nach dem verloren gegangenen Impfpass suchen müssen.

Bedenklich finde ich allerdings die zunehmende Tendenz zum Zwang und zur Strafe im Gesundheitswesen. Ein aktuelles Beispiel: Ärzt*innen, die ihre Praxis nicht sofort an die digitalen Online-Netze anschließen, sollen mit Honorarabzügen von 2,5 Prozent bestraft werden.

Denn Datenschutz sei nur etwas für Gesunde, sagt Jens Spahn. Die Pflicht zur Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen sollte mit Strafen durchgesetzt werden. Wie soll dies weitergehen? Wie meint man damit ein verantwortungsvolles Gesundheitsbewusstsein und Verhalten zu erreichen?

Es gibt aus der Ärzteschaft, vom RKI und der STIKO viele kritische Stimmen zum Erfolg und der Sinnhaftigkeit einer Impfpflicht. Eine Pflicht kann den Widerstand gegen das Impfen herausfordern. In Ländern mit Impfpflicht gibt es höhere Verweigerungsraten.

Eine Impfpflicht für Masern kann ein probates Mittel sein, um Impfquoten zu sichern. Es sollte jedoch stets das letzte Mittel sein. Bevor wir eine Impfpflicht verordnen, die ja auch verfassungsrechtlich ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellt und deshalb eine entsprechende Verhältnismäßigkeit erfüllen müsste, sollten wir zunächst der von mir beschriebenen Impfmüdigkeit stärker begegnen. Dazu gibt es meines Erachtens viele Möglichkeiten, zwei habe ich hier schon näher ausgeführt. Weitere Ideen diskutiere ich gern mit Ihnen im Sozialausschuss.

Vielen Dank!