Reden im Landtag

Christiane Böhm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen mit Migrationshintergrund

Christiane Böhm
Christiane BöhmFrauen

Auf Antrag der AfD diskutierte der hessische Landtag in seiner 55. Plenarsitzung am 1. Oktober 2020 über Gewalt gegen Frauen mit Migrationshintergrund. Das war ein plumper Versuch der AfD das Problem der häuslichen Gewalt auf Menschen mit Migrationsgeschichte zu reduzieren. Unsere frauenpolitische Sprecherin Christiane Böhm hat diesen versuch scharf zurückgewiesen.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Wir diskutieren in dieser Zusammensetzung nun seit eineinhalb Jahren regelmäßig über häusliche Gewalt, Femizide und die Istanbul-Konvention. Nachdem ich den Antrag der AfD lesen musste und mir auch die Rede anhören musste, muss ich feststellen: Sie haben in diesen eineinhalb Jahren nichts, aber auch gar nichts dazugelernt, und sie haben nichts verstanden.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Von welchen Frauen sprechen Sie eigentlich? Wissen Sie das?

(Zuruf AfD: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil!)

– Können die Pöbler von der rechten Seite einmal ein bisschen ruhiger werden?

(Zuruf AfD: Wir sind keine Pöbler, das sind Einwürfe! – Gegenruf SPD: Das sind Auswürfe! – Heiterkeit SPD und DIE LINKE)

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Einen Augenblick, Frau Böhm. – Eine lebhafte Debatte ist hier ausdrücklich gewünscht, ein Behindern der Rednerin aber ausdrücklich nicht.

(Fortgesetzte Zurufe)

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Danke sehr. – Meinen Sie die Frau von den Philippinen, die einen deutschen Mann geheiratet hat, der sie nach Deutschland holte? Der sie dann mit dem Baby hat sitzen lassen, weil sie doch nicht mehr die anschmiegsame und unkomplizierte Gefährtin ist, die er sich gewünscht hat? Der sich dann geweigert hat, Unterhalt zu zahlen, und sich als selbstständiger Malermeister plötzlich als mittellos darstellte?

Oder meinen Sie die junge Frau aus Bulgarien, die mit dem Versprechen, dass sie hier arbeiten kann, nach Deutschland geholt wurde und dann in der Prostitution landete? Der der Pass abgenommen wurde und die durch hohe finanzielle Forderungen gezwungen wurde, immer mehr Freier anzunehmen? Unter den Freiern sind im Übrigen zwar auch Männer mit Migrationshintergrund, aber meistens sind es Männer ohne Migrationshintergrund.

Oder meinen Sie Mädchen in Asien und in Südamerika, die von deutschen Touristen missbraucht werden? Deren Familien dadurch zerstört werden, weil die Töchter zwar etwas Geld nach Hause bringen, aber traumatisiert, körperlich und seelisch beeinträchtigt sind und oft genug viel zu früh schwanger werden?

Das sind nur drei Beispiele, die deutlich machen, die Gewalt geht von Männern aus. Das sind oft Männer, die einen Hass auf Frauen haben, ihnen keinen Wert zusprechen oder der Meinung sind, dass Frauen nur für den Lustgewinn da sind.

Das Patriarchat braucht Gewalt, um bestehen zu können. Frauen können sich nur befreien, wenn sie nicht mehr mit Gewalt daran gehindert werden, ihr eigenes Leben zu leben, ihren eigenen Weg zu gehen. Deswegen brauchen wir die tatsächliche Gleichstellung von Frauen. Frauen müssen wirtschaftlich eigenständig sein, sie müssen die gleiche Bildung erhalten, sie müssen die gleichen Rechte haben, und sie dürfen beispielsweise nicht von den Rechten und Möglichkeiten des Ehemanns abhängig sein.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf: Absolut richtig!)

Wenn Sie sich aber wirklich für den Schutz ausländischer Frauen einsetzen wollen, gäbe es eine Möglichkeit. Es ist notwendig, dass wir ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Frauen einführen und dass Frauen die Möglichkeit haben, unabhängig von ihrem Ehepartner in Deutschland zu leben. Das schützt Frauen und gibt ihnen die Möglichkeit zu einer tatsächlich selbstständigen Lebensführung – ohne Gewalt.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Dass Sie das nicht wollen, wissen wir. Ich erwarte aber von den anderen Parteien, dass sie in diesem Bereich aktiv werden.

Für eine Frau ist es völlig egal, welche Nationalität, Religion oder politische Weltanschauung die Person hat, die sie schlägt, missbraucht oder ermordet. Für die AfD ist das aber nicht egal. Für die AfD ist die Gewalt, die Frauen erleiden, nur dann relevant, wenn sie von Menschen muslimischen Glaubens oder von Menschen anderer Nationalität ausgeübt wird. Sie versuchen, das Thema häusliche Gewalt für antimuslimischen Rassismus zu gebrauchen, und so werden diese Frauen wieder zu Opfern. Sie werden zu Opfern Ihrer Ränkespiele gemacht. Sie sollten sich schämen, Frauen, die Gewalt erlitten haben, für Ihre politischen Machenschaften zu missbrauchen.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Es ist aber, wie wir feststellen, wenn wir uns die globale Realität anschauen, lächerlich, wenn das Problem in einer Weltregion mit dem Fokus auf eine Religion – jetzt auf die Muslime – thematisiert wird. Wir haben schon im Juni auf Antrag unserer Fraktion sehr ausführlich über das Thema Femizide diskutiert.

Der Begriff „feminicidio“ stammt bekanntlich aus Südund Mittelamerika und dient dazu, die Ermordung von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts zu thematisieren. Jährlich gibt es in diesen Ländern mehrere Tausend solcher Morde. Die Täter sind – halten Sie sich fest – weder Muslime, noch kommen sie aus dem Nahen Osten. Die meisten sind Katholiken oder gehören irgendwelchen christlichen Freikirchen an, mit denen Ihre stellvertretende Vorsitzende Beatrix von Storch gern gegen Frauenrechte demonstriert.

(Beifall DIE LINKE)

Schauen wir uns einmal das Themenfeld der weiblichen Genitalverstümmelung an. Es ist klar und offensichtlich, dass dies nicht nur in muslimischen Gesellschaften praktiziert wird. Diese verabscheuungswürdige Praxis betrifft ebenso christliche Gemeinschaften und in Teilen auch jüdische Splittergruppen. Weibliche Genitalverstümmelung ist übrigens aus keiner religiösen Schrift heraus begründbar. Sie ist viel älter als die monotheistischen Religionen. Sie ist schlicht und ergreifend ein patriarchales Herrschaftsinstrument, das weder einem bestimmten Kulturkreis noch einer bestimmten Religionsgemeinschaft zuzuschreiben ist.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe AfD)

– Tut mir leid, Ihre Erklärungen fallen bei mir nicht auf fruchtbaren Boden. – Noch eine Zwischenbemerkung gerade zu diesem Thema: Ich möchte heute eigentlich nur zu diesem Antrag reden, aber ich richte mich auch an die angeblich aufgeklärten Teile dieses Landtags. Auch hier erlebe ich immer wieder Tendenzen, die sogenannten Ehrenmorde oder die Genitalverstümmelungen zu nutzen, um Vorurteile zu schüren.

Aber zurück zur Rechtsaußenfraktion. Meine Auswahl belegt, wie völlig abstrus und eindimensional Ihre Sicht auf die Welt ist. Wer glaubt, alle Probleme auf einen klar definierbaren äußeren Feind abschieben zu können, hat es zwar schön leicht im Leben, hilft aber den Betroffenen kein Stück weiter.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ihre Parteipositionen sind in weiten Teilen frauenverachtend und antifeministisch. In Ihrem Parteiprogramm tauchen Frauen nur dann auf, wenn es um die Mutterrolle und die Familie geht. Sie wollen das Recht der Frauen, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden, einschränken und damit das Recht der Frauen auf reproduktive Selbstbestimmung beschneiden. Sie greifen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, wenn sich diese mit feministischen Themen oder mit Gender-Mainstreaming befassen, und wollen damit auch die Freiheit von Forschung und Lehre beschneiden.

(Zurufe AfD)

Im letzten Haushaltsplan haben Sie den Fördertatbestand „Antidiskriminierung“ ersatzlos streichen lassen wollen. Sie erzählen Märchen von einer angeblichen Frühsexualisierung in Kitas und Schulen, wenn dort die ganz natürlichen Fragen von Kindern und Jugendlichen zu Geschlechtlichkeit und Sexualität altersgerecht beantwortet werden. Das machen Sie, obwohl – ich würde eher sagen: weil – Kinder auf diese Weise stark gemacht werden, sich nicht patriarchalen Strukturen zu unterwerfen. Mit Ihrer sexualfeindlichen Tabuisierung sorgen Sie doch dafür, dass sie einem Missbrauch hilflos ausgeliefert sind.

Gerade hat mir meine Kollegin ein schönes Zitat Ihrer stellvertretenden Parteivorsitzenden zukommen lassen. Diese hat ein Foto von Manuela Schwesig gepostet. Es ging – Nein heißt nein! – um das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung. Dazu hat Beatrix von Storch geschrieben – ich zitiere –:

Männer müssen jetzt beim Sex die Ohren spitzen. Ein überhörtes „Nein“ kann sie zum Vergewaltiger machen.

Das zeigt, welch Geistes Kind Sie sind.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ihre Partei vertritt Positionen, die in die Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts gehören, aber nicht in diese zumindest teilweise diverse und gleichberechtigte Gesellschaft, wie sie von Frauen, Lesben, Inter- und Transpersonen in mühevollem Kampf erstritten worden ist. Statt Frauen immer nur dann ins Blickfeld zu rücken, wenn es ins eigene rassistische Weltbild passt, braucht es eine fortgesetzte solidarische und klar feministische Politik.

Wir müssen Frauen, Trans- und Interpersonen stärken. Wir müssen ihnen die Räume geben, sich selbst zu erfahren, ihre eigene Kraft zu spüren und zu entfalten. Wir brauchen selbstbewusste Frauen und positive Vorbilder. Wir brauchen solidarische Männer, die bei frauenfeindlichen Witzen nicht mitlachen, sondern widersprechen. Wir brauchen eine ausreichende Finanzierung von Rückzugsräumen, Beratungs- und Schutzmöglichkeiten. Für all das haben wir im letzten Haushalt auch finanzielle Mittel beantragt, die AfD dagegen keinen einzigen Cent.

Noch eine Bemerkung, die ich fast vergessen hätte: Welchen Stellenwert Frauen in der AfD haben, kann man mit einem Blick auf die Reihen Ihrer Fraktion erkennen. Die „Menge“ an Frauen in Ihrer Fraktion macht das schon sehr deutlich.

Mit dem Antrag, den Sie heute vorgelegt haben, tragen Sie wesentlich dazu bei, das Patriarchat zu zementieren. Mit Ihrem Antrag erweisen Sie der Bekämpfung häuslicher Gewalt und der Gewalt gegen Frauen generell einen Bärendienst.

(Volker Richter (AfD): Warum ist das ein Bärendienst? Warum gehen Sie nicht auf den Antrag ein?) Aber das ist genau Ihr Ziel; denn kaum jemand außer Ihnen profitiert so sehr von den alten Denkweisen und Machtstrukturen des Patriarchats. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)