Reden im Landtag

Christiane Böhm zur Änderung des hessischen Altenpflegengesetzes

Christiane Böhm
Christiane BöhmGesundheit

In seiner 58. Plenarsitzung am 11. November 2020 diskutierte der Hessische Landtag über eine Änderung des Altenpflegegesetzes. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Die Altenpflege steht im Moment besonders im Corona-Fokus. Ich denke, die Situation in den Altenpflegeheimen ist zurzeit ganz schwierig. Die Gesundheitsgefährdung ist groß, sowohl für die Beschäftigten wie auch für die zu Pflegenden.

Die Situation ist für die Beschäftigten insbesondere deshalb schwierig, weil sie stets Angst haben müssen, dass sie diejenigen sind, die Viren in ein Heim einbringen, die von ihnen zu pflegenden Menschen, die aufgrund ihres Alters sowieso besonders gefährdet sind, anstecken und diese unter Umständen viel zu früh sterben. Selbstverständlich sind aber auch die Beschäftigten mit der Gefahr konfrontiert, sich anzustecken. Ich denke, das ist eine ganz schwierige Situation, die natürlich auch mit dem Thema Isolation verbunden ist. Inwiefern ist es möglich, Kontakte nach außen zu haben, familiäre Kontakte überhaupt noch aufrechtzuerhalten, soweit sie vorhanden sind?

Ich traue mich schon gar nicht mehr, mich bei den Altenpflegekräften zu bedanken, weil ein solcher Dank inzwischen als wenig ernst zu nehmen angesehen wird. Aber meine Empathie gilt wirklich den Menschen, die diese schwierige Arbeit leisten; und an diese Menschen sollten wir denken, wenn wir den Gesetzentwurf beraten.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Zum Gesetzentwurf. Ich sehe die einjährige Ausbildung aus drei Gründen als ein Problem an. Zum einen stimmt die Bezahlung nicht. Dazu habe ich schon in der ersten Lesung etwas gesagt; Herr Bocklet hat daran erinnert. Mir wurde entgegnet, dass die schlechte Bezahlung von Altenpflegehelferinnen und -helfern immer noch besser als der Bezug von Hartz IV sei. Manchmal ist sie aber nur wenig besser als der Bezug von Hartz IV. Ich denke, das ist eine völlige Fehleinschätzung Ihrerseits.

Altenpflege ist ein harter Beruf. Die Pflegenden arbeiten im Schichtdienst, sie sind ständig in der Situation, aus ihrer Freizeit heraus gerufen zu werden, und sie arbeiten unter einem ungeheuren Stress in einer Situation, in der sie nie zufrieden nach Hause gehen können, weil sie wissen, dass sie einen oder mehrere alte Menschen nicht so versorgt, nicht so betreut haben, wie sie das eigentlich tun wollten. Das ist das Problem. In der Pflege sind fast nur noch Frauen tätig. In der Diskussion wird immer auch über die Altersarmut dieser Frauen geklagt. Die Klage kommt aber zu spät; das hätte man viel früher ändern müssen.

Wenn mir jetzt vorgeworfen wird, ich wollte in die Tarifautonomie eingreifen: Nein, ich will, dass sich dieser Staat in der Altenpflege engagiert; denn, wenn wir die Altenpflege privaten Einrichtungen überlassen, dann gibt es selbstverständlich keine ordentlichen Tarifverträge. Es ist gut, dass es inzwischen einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gibt, der zumindest eine Untergrenze der Bezahlung eingeführt hat. Jetzt haben wir aber die Situation, dass sich viele private Player in diesem Bereich tummeln, die Personal abbauen und gering bezahlen. Das ist deshalb der Fall, weil sich der öffentliche Dienst, weil sich der Staat völlig aus der Altenpflege heraushält. Das ist das Problem, und dieses Problem muss man angehen, statt an einigen Punkten herumzudoktern.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Das nächste Problem, das ich mit dem Gesetzentwurf habe, ist, dass es immer weniger Fachkräfte in diesem Bereich gibt und dass die angehenden Altenpflegehelferinnen und ‑helfer immer weniger Anleitung durch Fachkräfte bekommen. Wenn die Altenpflegehilfe einen Sinn hat, dann den, den Frau Dr. Sommer genannt hat: einen Zugang zu einer qualifizierten Ausbildung zu ermöglichen. Die Frage ist aber, ob die Unternehmen daran überhaupt ein Interesse haben, weil qualifizierte Fachkräfte viel besser bezahlt werden müssen.

Einiges in dem Gesetzentwurf ist ganz nett, z. B. die Aufstockung der Stunden, aber es fehlt die Freistellung der Praxisanleitung, es fehlt die Finanzierung der Pflegeschule, und es fehlt – ich denke, das ist auch wieder ein Punkt – an der Ausbildung: Warum ist die Altenpflegeausbildung in Hessen nur privat organisiert? Normalerweise ist das doch eine Aufgabe der berufsbildenden Schulen. Das muss doch im Berufsbildungsgesetz enthalten sein, und dann könnte man auch klare Kriterien für die Ausbildung entwickeln.

Es gibt ein Übereinkommen des Europarats, wonach eine Lehrkraft für 15 Azubis zur Verfügung stehen soll. Davon sind wir weit entfernt. Wir sind auch weit davon entfernt, in Hessen überhaupt Lehrkräfte in der Altenpflege auszubilden. Wenn man das alles so vernachlässigt, braucht man sich nicht über das Ergebnis zu wundern, nämlich dass man zulässt, dass Leute in dieser schwierigen Situation allein zurechtkommen müssen.

Ich will auf ein Thema, das mit der aktuellen Umsetzung des Pflegeberufegesetzes zusammenhängt, kurz eingehen. Es ist für die Altenpflegeschulen super schwierig, Einsatzstellen für die praktische Ausbildung zu finden. Die machen geradezu Kopfstände, um die Kliniken dafür zu gewinnen, dass sie die Menschen in die praktische Ausbildung übernehmen. So funktioniert das mit dem Nachwuchs auf keinen Fall. Wir brauchen auf jeden Fall mehr Ausbildungskapazitäten. Aber dann müssen wir wirklich dafür sorgen, dass die Ausbildung theoretisch und praktisch tatsächlich umsetzbar ist. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)