Reden im Landtag

Christiane Böhm zum Gesetz zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung.

Christiane Böhm
Christiane BöhmGesundheit

In seiner 52. Plenarsitzung am 3. September 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung in Hessen. dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Was soll ich erklären? – Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Das gemeinsame Interesse von uns allen – nicht nur von uns im Landtag – sollte sein, dass wir eine flächendeckende, gut qualifizierte und gut ausgebaute Gesundheitsversorgung im stationären und ambulanten Kontext haben. Alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, auch die ohne Krankenversicherungsschutz – an die möchte ich besonders denken –, brauchen vor Ort gute Lotsinnen und Lotsen durch das Gesundheitssystem, und das sind die Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner.

Aber wie schaffen wir es, mehr Angehörige dieser Berufsgruppe in den ländlichen Raum zu locken? Es liegt jetzt der Vorschlag der SPD vor, eine Landarztquote zu schaffen. Schwarz-Grün war in der Anhörung sehr interessiert daran. Sie haben gesagt, sie möchten die Landarztquote auch, und Sie möchten daraus lernen.

Allerdings sehen wir keine Lösung darin, und es ist auch nicht der große Entwurf, mit dem wir die Probleme lösen können, die wir im ländlichen Raum bei der ärztlichen Versorgung haben. Ich denke, wir können es uns nicht so leicht machen, zu sagen: „Es gibt einen Punkt, an dem wir den Schalter umlegen, und dann haben wir das Problem gelöst“, sondern es gibt ein strukturelles Problem.

Das Problem ist die ungleichzeitige Entwicklung in Hessen. Stadt und Land haben sich auseinanderentwickelt. Dazu hat es auch Veränderungen und Entwicklungen im Gesundheitswesen gegeben. Wir müssen uns das Ding ein bisschen grundsätzlicher anschauen, bevor wir meinen, an einer Stelle den großen Wurf machen zu können.

Aus Sicht der LINKEN sind es vier Punkte, die dafür sorgen könnten und sorgen sollten, dass die allgemeinmedizinische Versorgung im ländlichen Raum verbessert wird:

Erster Punkt. Es muss mehr Medizinstudienplätze geben, und das Fach Allgemeinmedizin muss eine größere Bedeutung im Studium haben. Zur Erhöhung der Zahl der Studienplätze ist schon etwas gesagt worden. Das wurde häufiger gefordert. Diese Studienplätze sind teuer, und deswegen möchte man eine Erhöhung ihrer Zahl möglichst vermeiden; aber ich glaube, wir werden nicht darum herumkommen, mehr Medizinerinnen und Mediziner auszubilden.

Aber auch die Vertreter der hessischen Universitäten haben in der Anhörung ein gutes Konzept – ein kleines, ausgeklügeltes Programm – vorgestellt, wie mehr Studierende dafür gewonnen werden können, die Allgemeinmedizin im Studium als Schwerpunkt zu wählen und sich für diese Fachrichtung zu entscheiden. Dafür brauchen sie, wie der Vertreter der Goethe-Universität in der Anhörung gesagt hat, „ausreichende und langfristig sichergestellte finanzielle Mittel, die nicht aus dem Hessischen Hochschulpakt entnommen werden dürfen“.

Ich bin, ehrlich gesagt, aus der heutigen Debatte noch immer nicht schlau geworden. Ich habe noch nicht gehört, dass diese Mittel den Universitäten zur Verfügung gestellt werden. Ich habe gedacht, bei den Beträgen dürfte es sich eher um Peanuts handeln, und das müsste kein Problem sein. Aber ich hoffe, dass der Herr Minister etwas Substanzielles dazu beitragen kann.

Der zweite Punkt, der für uns wichtig ist – das wurde auch schon einmal kurz angesprochen –, ist die Auswahl der Studierenden. Die Anhörung hat für mich deutlich gemacht – weitere Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten haben das bestätigt –, dass die Auswahl der Studierenden nicht so erfolgt, wie es notwendig und sinnvoll wäre. Es geht nicht um die Einser-Kandidatinnen und -Kandidaten, sondern um Menschen, die mit Menschen zu tun haben wollen und dafür sorgen, dass Menschen rundum gesund bleiben oder auch wieder gesund werden können.

In den Universitäten muss wesentlich mehr Zeit für intensive Auswahlgespräche vorhanden sein. Das Land ist gefordert, den Universitäten diese Möglichkeit zu geben und dies voranzutreiben. Um diesen Masterplan 2020 wirklich sinnvoll umzusetzen, brauchen die Universitäten mehr Unterstützung.

(Beifall DIE LINKE)

Der dritte Punkt, der für uns wichtig ist: Wir brauchen mehr und besser ausgebaute Gesundheitszentren. Wir haben bisher kaum welche in Hessen. Junge Ärztinnen und Ärzte – ich denke, das ist in der Anhörung ganz deutlich geworden – wollen nicht mehr rund um die Uhr als Landarzt bzw. als Landärztin tätig werden. Einigen würde es schon genügen, wenn sie auf dem Land arbeiten und dann in der Stadt wohnen dürften.

Aber sie wollen meist angestellt tätig werden. Ich denke, das ist auch logisch. Wenn die Studierenden nach ihrem Studium und ihrer Facharztausbildung in die Praxis gehen, sind sie durch alle Themen, die das Leben mit sich bringt, gefordert. Sie sind mit allem konfrontiert, was mit Krankheit und Gesundheit zu tun hat. Ich denke, es ist ganz logisch, dass sie Kolleginnen und Kollegen zum Austausch brauchen. Die Landärztinnen und Landärzte sind eben keine Lonesome Rider mehr wie früher. Es gibt noch ein paar Fernsehsendungen, die dieses Bild vermitteln.

Es sind oft die Frauen – es gibt aber auch Männer –, die sagen: Ich brauche eine feste Arbeitszeit; denn ich will auch noch eine Familie haben, ich will mich nicht nur in meiner Landarztpraxis verlustieren. – Es ist deutlich, dass wir hier einen Umbruch sehen: den Wandel von einem freien Beruf zu einem Beruf im Angestelltenverhältnis. Es fällt vielen schwer, sich von alten Bildern zu lösen. Aber man muss zur Kenntnis nehmen, dass sich da etwas verändert.

(Beifall DIE LINKE)

Um also die Versorgung auf dem Land zu verbessern, brauchen wir mehr interdisziplinäre Gesundheitszentren, in denen Ärztinnen und Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Psychologinnen und Psychologen, Pflegerinnen und Pfleger arbeiten. Alles, was im ländlichen Bereich notwendig ist, kann dort angeboten werden. Die Patientinnen und Patienten werden dort gut versorgt und bekommen auch Hilfe, wenn es darum geht, wo sie am besten behandelt werden können.

Das sollte nicht nach dem Gießkannenprinzip funktionieren: „Ich gehe einmal hier durch, und jeder darf schauen; jeder, der sich gerade meldet, kriegt vielleicht ein bisschen Unterstützung für ein Gesundheitszentrum“, sondern das sollte eine richtige Orientierung des Landes sein: dass solche nicht kommerziell arbeitenden Zentren und Institutionen – z. B. kommunale Kliniken; am liebsten wären mir kommunale Kliniken wie in Dänemark – von der öffentlichen Hand gegründet werden und die entsprechende Unterstützung erhalten. Das wäre für die Versorgung der Menschen im ländlichen Raum eine sinnvolle und Erfolg versprechende Herangehensweise, und es würde den Interessen der jungen Ärztinnen und Ärzten entsprechen.

Was den vierten Punkt betrifft: Herr Pürsün hat es schon einmal angesprochen. Ich habe mich gewundert, warum bisher noch keiner etwas dazu gesagt hat. Ich weiß natürlich, dass ich jetzt wieder erzählt bekomme, wie schön es in Hessen auf dem Land ist.

Aber das Landleben hat nicht nur Vorteile. Ich wohne selbst in einer ländlichen Gemeinde mit 13.000 Einwohnern. Ich weiß auch, dass es nur im Nachbarort einen Bahnhof gibt. Da bin ich ja schon privilegiert, dass ich die Chance habe, im Nachbarort einen Bahnhof zu finden, zu dem ich mit dem Fahrrad fahren kann.

Ich habe meine Sommertour durch vier südhessische Landkreise und eine Stadt gemacht. Das Thema war „Verkehrswende“, und die ist bitter nötig – das sage ich Ihnen.

(Beifall DIE LINKE und Nadine Gersberg (SPD))

Im Odenwald hat man um 19 Uhr die letzte Möglichkeit, um mit dem Bus nach Hause zu kommen. Überlegen Sie sich, was das bedeutet: Auch Ärztinnen und Ärzte haben Kinder, auch heranwachsende Kinder, die noch nicht alt genug sind, um einen Führerschein zu machen. Was heißt das? Eine Person der Familie muss ständig das Kind, die Jugendlichen durch die Gegend fahren. Das ist absolut nicht möglich und nicht mit einer Vollzeit-Berufstätigkeit zu vereinbaren.

Arbeitsplätze für Angehörige sind Mangelware. Ich habe im Odenwald einen Jugendlichen gefragt, was es da an Kulturangeboten gibt, und ihm ist nur das Elfenbeinmuseum eingefallen. Mir ist dann auch nichts mehr eingefallen. Wenn das alles ist: na danke.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben in Südhessen ganz viele stillgelegte Bahnstrecken und viele Bahnstrecken, die nach einem ganz komplexen Prinzip durchfahren werden müssen. Die Kindertagesbetreuung ist ein Problem; die muss die Arbeitszeiten abdecken. Was ist, wenn das Kind in die Schule kommt und nach der siebten Stunde wieder abgeholt werden muss, weil dann kein Bus mehr fährt? Das ist für die Ärzte wenig lustig. Wie will man das organisieren?

Das Problem ist: Wir brauchen in all diesen Punkten eine ordentliche Politik fürs Land, aber wir brauchen auch einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Gesundheitspolitik. Das Gesundheitswesen hat sich in den letzten Jahren gerade im stationären Bereich zu einer hoch profitablen Einnahmequelle für private Konzerne entwickelt. Auch die kommunalen Kliniken sind gezwungen, bei völlig unsinnigen Prozessen mitzuziehen.

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin Böhm, Sie müssten zum Ende kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Danke schön. – Da gerät auch der ambulante Sektor unter die Räder, obwohl er heute eigentlich in großer Blüte stehen könnte. Ich denke, wir brauchen ein umfassendes Gesundheitskonzept. Das erwarte ich von der Landesregierung. Wir brauchen auch eine ordentliche Planung im Gesundheitswesen. Das wäre das, was ich eigentlich erwarte, und kein Klein-Klein. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)