Reden im Landtag

Christiane Böhm zum Erlass infektionsschützender Maßnahmen der Landesregierung

Christiane BöhmGesundheit

In seiner 83. Plenarsitzung am 29. September 2021 informierte der Hessische Landtag über die Beschlüsse der Landesregierung zu den infektionsschützenden Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, wir brauchen noch ein paar Minuten Ruhe, bevor wir in den wohlverdienten Feierabend gehen. Es ist weder alles ganz einfach und gut, noch ist alles ganz schrecklich.

Wir stehen vor dem zweiten Corona-Herbst/Winter, aber glücklicherweise sind die Vorzeichen dieses Jahr andere als im letzten Jahr. Das hat damit zu tun, dass die Impfungen gegen COVID-19 wirken, sodass sich die Pandemie weitgehend auf ungeimpfte Personen konzentriert. Dort, wo es zu Impfdurchbrüchen kommt, sind in der Regel keine schweren oder gar tödlichen Verläufe feststellbar. Deshalb muss natürlich die Verstärkung der Impfkampagne oberste Priorität haben.

Aufgrund der hohen Personenzahl ohne vollständigen Impfschutz in Deutschland und auch in Hessen, die nicht mehr kurzfristig vollständig immunisiert werden können, können wir davon ausgehen, dass noch mehr erkranken. Deswegen ist ein solidarischer Umgang mit der Pandemie unser oberstes Gebot.

Unser Augenmerk muss sich auf die Personen richten, die noch nicht geimpft sind. Die größte Gruppe der von Impfungen ausgeschlossenen Menschen sind Kinder unter zwölf Jahren. Komischerweise hat keiner meiner Vorredner etwas dazu gesagt. Sie weisen aktuell die höchsten Inzidenzen auf. Gleichzeitig wissen wir aus dem vergangenen Jahr, dass geschlossene Kitas und Schulen für viele Kinder verheerende Folgen nach sich gezogen haben und dass diese Folgen durchaus größer waren als die Krankheitsfolgen. Hier muss das Hauptaugenmerk der Landesregierung liegen.

Aus diesem Grund möchte ich zu vier Punkten etwas sagen. Wir wollen die Kita- und Schulschließungen verhindern. Deshalb muss man alles tun, um das Infektionsrisiko in den Einrichtungen zu minimieren. Dazu gehören insbesondere Lüften und Handhygiene, ergänzt durch flächendeckende Verwendung von Luftfiltern. Wir brauchen beides für einen sicheren Schul- und Kita-Betrieb. Wir müssen auch das Testgeschehen erhalten und durch flächendeckende Lolli-PCR-Pooltests ausweiten. Ich erwarte, dass sie weiter finanziert werden, gerade auch für die Kitas und die Schulen.

(Beifall DIE LINKE)

Einrichtungen für Kinder und Jugendliche sowie Gesundheitseinrichtungen brauchen entsprechend die technische Ausstattung und mehr Personal.

Der zweite Punkt. Ich bin der Meinung, dass die AHA-LRegeln in Innenräumen, in denen kein Abstand eingehalten werden kann, erhalten bleiben sollten. Auch eine Impfung oder Genesung ist keine Sicherheit, die Krankheit nicht doch übertragen zu können.

Der dritte Punkt. Statt auf Zwang soll auf Aufklärung und Niedrigschwelligkeit gesetzt werden. Corona-Mythen müssen aktiv ausgeräumt werden. Als LINKE werben wir weiter massiv für Impfungen, nicht nur zum Schutz des Einzelnen, sondern auch als solidarischen gesellschaftlichen Akt gegenüber allen Personen, die noch nicht geimpft werden können.

(Beifall DIE LINKE)

Dies ist ein wichtiger Appell, den wir an alle richten. Davon aber unbenommen bleibt, dass die Impfung eine individuelle medizinische Entscheidung darstellt, die nicht durch staatliche Zwangsmittel herbeigeführt werden darf.

Mein vierter Punkt. Die Bundes- und Landespolitik reagiert auf die aktuelle Situation zunehmend autoritär: Kostenfreie Schnelltestangebote werden abgeschafft, die Testinfrastruktur wird darunter leiden – das werden wir sehen –, die Testpflichten werden im Gegensatz dazu ausgeweitet. Ministerpräsident Bouffier spricht sogar von der Notwendigkeit, PCR-Tests vorzulegen, die teils bis zu 130 € kosten, was für Menschen mit normalem Einkommen eigentlich nicht möglich ist. Das Ende der kostenfreien Testungen ignoriert, dass auch Geimpfte das Virus übertragen können. Ohne diese kostenfreien Tests wird sich aber gerade dieser Personenkreis zukünftig kaum noch testen lassen. Das heißt, wir bekommen es gar nicht mit, wenn sich Inzidenzen weiterentwickeln.

Zusätzlich wird auch noch die Lohnfortzahlung für Ungeimpfte bei Quarantäne entzogen, 2G-Modelle werden forciert, es finden teils massive Grundrechtseingriffe statt, die nicht in erster Linie auf eine Pandemieeindämmung zielen, sondern auf die Steigerung der Impfbereitschaft. Hier ist die Frage, ob das wirklich im Sinne des Grundgesetzes ist.

(Beifall DIE LINKE)

Damit droht sich die Verweigerungshaltung bei noch Ungeimpften zu vertiefen, und die gesellschaftliche Spaltung wird vorangetrieben. Das lehnen wir ab, weil damit Menschen ihrer Teilhabe und demokratischen Rechte beraubt werden. Wir fordern die Landesregierung auf, Impfungen zu forcieren, ohne Menschen aus dem gesellschaftlichen Geschehen auszuschließen.

Tests müssen weiterhin flächendeckend und kostenlos vorhanden sein. Um Nachverfolgung und Quarantäne nicht völlig ad absurdum zu führen, muss die Lohnfortzahlung erhalten werden. Das kann die Hessische Landesregierung tun, andere Bundesländer machen es ihr vor.

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin, Sie müssten zum Ende kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Zwangsmaßnahmen sind abzulehnen. Sie verletzen Grundrechte und ignorieren, dass auch Geimpfte die Krankheit weitertragen können. Weiterhin muss die globale Perspektive der Pandemie stärker in den Vordergrund rücken: Nicht benötigte Impfdosen sind der globalen WHO-Impfkampagne zur Verfügung zu stellen. Lizenzen und Patente müssen freigegeben werden. Diese Pandemie überwinden wir gemeinsam und solidarisch, oder gar nicht.

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin, jetzt ist es wirklich drüber.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich bin doch fertig.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf)