Reden im Landtag

Christiane Böhm - UNAIDS-Ziele erfordern entschlossenes politisches Handeln

Christiane Böhm
Christiane BöhmGesundheit

In seiner 65. Plenarsitzung am 3. Februar 2021 diskutierte der Hessische Landtag über die UNAIDS-95/95/95-Initiative. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Ich begrüße, dass Sie das Thema heute mit diesem Antrag zur UNAIDS-95/95/95-Initiative auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Vielen Dank, Herr Martin, für Ihren bewegenden Vortrag. Mir wäre lieb, wenn das ein Stück Literatur wäre, die fiktional ist und nicht der Realität entsprechend würde. Ich kann mich nur den guten Wünschen der Kollegin Knell anschließen, die Sie auch von mir entgegennehmen sollen.

Dieses Thema ist wichtig und braucht mehr Aufmerksamkeit. Wir beschäftigen uns mit der Corona-Pandemie und dürfen nicht vergessen, dass es noch viel mehr ansteckendere und gefährlichere Krankheiten auf der Welt gibt, darunter auch Aids.

Ganz besonders wichtig ist für uns, dass wir uns die Geschichte, die Erfolge und die Niederlagen im Kampf gegen HIV anschauen und daraus Lehren für die Corona-Pandemie ziehen. Heute ist es in den Industriestaaten gelungen, dass für die meisten Betroffenen Aids kein automatisches und schnelles Todesurteil mehr ist, weil es Medikamente und Behandlungen gibt, um sich vor einer Weitertragung des HI-Virus zu schützen. Aber die Situation ist in den Entwicklungsländern völlig anders. Gerade in den Entwicklungsländern zeigt sich die Tödlichkeit eines falschen Patentschutzes, weil die Produktion kostengünstiger Generika durch die Profitinteressen der Pharmakonzerne behindert wird.

Diesen Fehler sollten wir bei Corona nicht wiederholen. Deshalb ist die Forderung der LINKE-Bundestagsfraktion nach einer Zwangslizenzierung der Impfstoffproduktion tatsächlich unerlässlich. Wie wichtig diese Forderung war, zeigt die Veröffentlichung eines SPD-Europaabgeordneten vergangene Woche. Mindestens in einem Fall, beim Vertrag mit CureVac, hat sich die EU verpflichten lassen, dass mögliche überzählige Impfdosen nicht ohne Genehmigung des Herstellers an die WHO oder Entwicklungshilfeorganisationen gespendet werden dürfen. Aus Sicht des Herstellers ist das natürlich sinnvoll: Wenn der Impfstoff in der EU verfällt, dann ist er bezahlt worden, und man kann ihn noch einmal verkaufen. Aber wie widerwärtig ist denn diese rein profitorientierte Herangehensweise bei inzwischen mehr als zwei Millionen Toten in Verbindung mit Corona weltweit? Kapitalismus tötet – gerade solche Beispiele machen das überdeutlich.

(Zurufe: Ach du liebe Zeit! – Mein Gott!)

Denn eines ist doch klar: Diese Pandemie beenden wir nur global, indem wir allen Menschen die Impfungen zur Verfügung stellen, oder wir beenden sie nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Das gilt nicht weniger für andere Infektionskrankheiten wie Aids, bei denen die Welt seit vielen Jahrzehnten an dieser Aufgabe scheitert. Wenn ich eingangs darauf verwiesen habe, dass wir durch den weitgehend gesicherten Zugang zu Aidsmedikamenten in Deutschland viele Leben retten können, heißt das noch nicht, dass bei uns alles gut ist. Ehrlich gesagt, geht es mir da so wie Kollegin Knell. Da reicht mir dieser schwarz-grüne Antrag, den wir heute diskutieren, nicht aus, um auf die offensichtlichen Lücken im System hinzuweisen und zu reagieren.

Der Antrag der FDP, der bereits im Sozialausschuss liegt, hat wenigstens schon eine Öffentlichkeits- und Aufklärungskampagne im Blick, um die Vorurteile und die Stigmatisierung abzubauen sowie mehr Wissen zu vermitteln. Das Beispiel, das wir heute gehört haben, macht auch sehr deutlich, dass wir das dringend brauchen. Der Antrag reicht zwar auch nicht aus, aber es ist immerhin ein bisschen mehr als dieses Bekenntnis zur UNAIDS-95/95/95Initiative. Wo bleibt denn wenigstens eine neue Idee, wie wir dieses Ziel tatsächlich auch erreichen können? Das fehlt mir bei diesem Antrag und bei der Politik der Landesregierung.

Sie betonen als Antragstellerin selbst, dass Sie mindestens eines der Ziele, die 95 % der Menschen, die von ihrer Infektion mit HIV wissen sollen, nach den aktuellen Schätzungen nicht erreichen werden. Warum ist das so? HIV kann lange symptomlos bleiben, sodass es Menschen gibt, die vielleicht gar nicht wissen, dass sie einmal einen HIVpositiven Sexualkontakt hatten, und sich deshalb nicht testen lassen. Es gibt aber auch Fälle – wir haben es gehört –, in denen es Kenntnis über einen entsprechenden Kontakt gibt, die Menschen aber nicht zum Test gehen oder es nicht weitergeben, weil sie Angst vor Stigmatisierung haben. Das zeigt natürlich, wie wichtig es ist, im Sinne dieser Initiative aufzuklären.

Es gibt noch weitere Baustellen, so beispielsweise die Unterstützung der Aidshilfen. Ich werde aber nur drei Dinge konkret herausgreifen, ohne zu sagen, dass das eine abschließende Aufzählung ist. Der Zugang zu Aidsmedikamenten ist für die meisten Menschen in Deutschland gesichert, solange sie einen Arzt finden, der ein Budget dafür hat. Es bleiben aber viele übrig, die keine Krankenversicherung haben. Wir wissen, dass viele Menschen, die zu den HIV-Risikogruppen gehören – etwa wegen intravenösem Drogenkonsum –, besonders gefährdet sind, ihre Krankenversicherung zu verlieren. Darauf haben die Regierungsfraktionen immer noch keine Antwort geliefert. Unserem Gesetzesvorschlag für diese Menschen, eine Clearingstelle und einen Behandlungsfonds auf den Weg zu bringen, haben Sie sich verweigert, ohne eine Alternative vorzulegen.

Sie erwarten doch wohl nicht, dass die ehrenamtlichen Initiativen aus ihren Spendentöpfen dauerhaft antiretrovirale Medikation oder PrEP bezahlen. Das sind teure Medikamente, die einen Haufen Geld kosten. Es ist schwierig, das aus Spenden zu finanzieren. So lassen Sie dank Ihrer Konzeptlosigkeit und Ihrer Kompromissunfähigkeit Menschen ohne Krankenversicherung im Stich. Das ist unverantwortlich.

(Beifall DIE LINKE)

Ein zweiter Bereich ist der Justizvollzug. Ich habe mich gefreut, als ich in Ihrem Koalitionsvertrag gelesen habe, dass Schwarz-Grün sich zu Safer-Use- und Safer-Sex-Programmen bekennt und den gleichen Zugang zur Behandlung für inhaftierte Drogenkonsumentinnen und -konsumenten mit einer HIV- oder Hepatitis-C-Infektion vorsieht. Das sind vollkommen richtige Ansätze. Auch der Zwischenbericht der UNAIDS-Initiative aus dem letztem Jahr verweist auf die hohe Bedeutung von Prävention in den Knästen. Leider ist in den letzten zwei Jahren kein einziger dieser Punkte angegangen worden. Dabei wissen wir doch schon lange, dass in den Justizvollzugsanstalten Zugänge zu Einwegspritzen, zu Kondomen, zu Gleitmitteln und natürlich auch zu Medikation und Therapie gebraucht werden, um die Übertragung von Infektionskrankheiten zu verhindern.

Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences hat schon 2002 in einer Publikation darauf hingewiesen, dass eine 25-mal höhere HIV-Verbreitung in der Gefangenenpopulation stattfindet, als es für die Durchschnittsbevölkerung angenommen wird. Die Modellprojekte zu Safer Use sind in anderen Bundesländern restlos eingestellt worden, aber nicht, weil sie keinen Erfolg hatten, sondern weil es den konservativen Regierungsmehrheiten nicht schicklich erscheint, diese Probleme anzugehen. So ist es in Hessen anscheinend auch. Schön, dass die GRÜNEN das in den Koalitionsvertrag geschrieben haben. Schlecht ist nur, dass die Justizministerin lieber „Bild“-Kolumnen zum Ramadan schreibt, als sich den realen Problemen im Justizvollzug in Hessen zuzuwenden.

(Beifall DIE LINKE)

Verdrängung führt nicht dazu, dass ein Problem behoben wird. Den Spritzentausch anzugehen, wäre tatsächlich eine wichtige Sache. Auch dort, wo Minister Klose und die GRÜNEN selbst Verantwortung tragen, passiert viel zu wenig. 80.000 € wollte das Sozialministerium bereits letztes Jahr für Hygieneprodukte und Verhütungsmittel für sozial Benachteiligte zur Verfügung stellen. Abgeflossen ist aus diesem Topf kein Cent. Dieses Jahr sollen es nun 130.000 € sein. Ein Konzept liegt allerdings immer noch nicht vor. Ich weiß nicht, was daraus erwachsen soll. Selbst wenn das Geld abfließt, sind 130.000 € lächerlich gering angesichts der Zahl der armutsgefährdeten Menschen in Hessen, die 16 % der hessischen Gesamtbevölkerung ausmachen. Diese Menschen haben häufig kein Geld, um sich entsprechende Verhütungsmittel zu kaufen.

Das Modellprojekt „biko“ des Bundes, welches leider ersatzlos ausgelaufen ist, hat damals schon gesagt: Vorsichtig hochgerechnet werden mindestens 800.000 € benötigt. – Diesen Betrag hat auch unsere Fraktion genommen und ihn im Rahmen der Haushaltsberatungen beantragt. Sie wissen aber, wie das Spiel ausgeht. Schwarz-Grün hat das natürlich abgelehnt. Es ist schön, dass Sie in Ihrem Antrag sagen, dass „die breite Gesellschaft adressiert“ werden soll. Das bedeutet natürlich auch, dass individuelle Prävention Geld kostet. Viele Menschen haben auch im reichen Hessen keinen angemessenen Zugang dazu. Mit Ihren 130.000 € können Sie vielleicht ein paar Pariser in den Schulen verteilen oder an die Besuchergruppen im Landtag. Das ist aber noch keine ausreichende Prävention gegen HIV.

(Beifall DIE LINKE)

Wir haben aber auch in Deutschland einige Probleme, die auch im Zwischenbericht der Initiative kritisiert werden – z. B. unsere völlig verfehlte Drogenpolitik, die nur auf Repression gegen die Konsumentinnen und Konsumenten setzt. Da ist in Deutschland einiges zu tun. Wenn ich auf den Koalitionsvertrag eingehe: Ein Modellprojekt zur legalen Abgabe von Cannabis kommt im Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün vor, aber dazu ist von Ihrer Seite offensichtlich noch nichts unternommen worden. Das ist genauso symptomatisch wie die anderen aktuellen Auseinandersetzungen um den Frankfurter Weg – wohlklingende Anträge, aber wenig entschiedenes Handeln, wo tatsächlich Bewegung möglich und notwendig ist.

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, Sie müssen dann zum Schluss kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ja, da bin ich auch schon fast. – So erreichen wir die Ziele nicht. Ich dachte, sie wären den GRÜNEN tatsächlich wichtig. Es wird uns so auch nicht gelingen, HIV und andere Infektionskrankheiten wirksam zu minimieren. Es wird Zeit, dass Ihren wohlklingenden Worten auch Taten folgen. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)