Reden im Landtag

Christiane Böhm - Soziale Träger zu 100 Prozent finanzieren!

Christiane Böhm
Christiane BöhmSoziales

In seiner 49. Plenarsitzung am 4. Juli 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die sozialen Träger. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Es gibt einen guten Grund, warum wir einen Dringlichen Antrag eingebracht haben. Mit Stand von heute müssen wir davon ausgehen, dass viele – insbesondere kleinere – soziale Träger nach der Sommerpause bankrott und nicht mehr existent sind.

Dass wir vor dieser realen Gefahr stehen, hängt vor allem damit zusammen, dass sich das Sozialministerium weiterhin weigert, eine Verordnung zu erlassen. Die Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung haben Sie, Herr Klose, Anfang Mai höchstpersönlich von diesem Pult aus erbeten. Wir haben sie Ihnen auch erteilt. Wir haben Ihrem Antrag sehr schnell zugestimmt. Sie haben uns versprochen, dass die Landesregierung eine Verordnung erlassen wird, die greift, wenn soziale Träger mit den zugesicherten 75 % aus dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz des Bundes nicht ausreichend finanziert sind. Sie haben Ihr Versprechen an die sozialen Träger in Hessen gebrochen, Herr Klose.

Schon im April haben mich soziale Träger kontaktiert und gesagt, dass das vom Bund verabschiedete SodEG dringend aufgestockt werden müsste, weil viele soziale Träger durch die pandemiebedingten Schließungen nicht in der Lage sind, die notwendigen Eigenmittel zu erwirtschaften. Darauf habe ich Sie in der Landtagsdebatte Anfang Mai hingewiesen und gefordert, eine 100-prozentige Fortfinanzierung direkt im Gesetz festzuschreiben. Seitdem haben die Landesregierung mehrere Schreiben sozialer Träger mit derselben Botschaft erreicht. Es gab Telefonkonferenzen sozialer Träger mit dem Ministerium, in denen diese Forderung erhoben wurde.

Doch Sie tun nichts und gefährden damit den sozialen Zusammenhalt in diesem Land. Sie negieren sogar, dass diese Anforderungen an Sie gestellt wurden.

Herr Klose, Sie lassen die Kommunen im Regen stehen. Es gibt eine ganze Reihe von Kommunen, beispielsweise den Landkreis Marburg-Biedenkopf oder die Stadt Frankfurt, die erklärt haben, dass sie bereit sind, die Aufstockung auf 100 % für ihre leistungserbringenden Träger zu finanzieren. Sie können das mit Blick auf die Haushaltsgenehmigung aber ohne eine Ermächtigung des Landes nicht rechtssicher tun.

Im Mai haben Sie noch gesagt, dass eine Verordnung notwendig sei. Heute schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass sie nicht notwendig sei. Sie müssen sich endlich einmal entscheiden, was wirklich Sache ist. Ich glaube, Sie tragen zur Verwirrung und zur Zerstörung der Trägerlandschaft ganz massiv bei.

(Beifall DIE LINKE)

Ich weiß nicht, ob Ihnen ausreichend bewusst ist, welche Bedeutung das Wegbrechen zentraler Teile des sozialen Netzes für die Menschen in Hessen hätte. Es geht um Zehntausende Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind. Es geht aber auch um ganz viele Menschen, die mit dieser Unterstützungsarbeit ihr Geld verdienen. Sie beschließen über ein Sondervermögen in Höhe von 12 Milliarden €, finden aber kein Geld, um diesen Menschen eine Perspektive zu geben. Das ist schon beschämend genug. Aber wenn Sie nicht bereit sind, Landesmittel zur Verfügung zu stellen, dann erlauben Sie doch wenigstens den Kommunen, dass sie die Träger vor Ort unterstützen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Ich will die Situation mit zwei Zitaten illustrieren. Die jeweiligen Probleme sind von den Trägern auch an die Hessische Landesregierung herangetragen worden. Zunächst zum Thema Inklusion an unseren Schulen:

Unsere Musterrechnung zeigt, dass das Angebot der Schulassistenz mit der bislang geplanten Refinanzierung nach SodEG (75 %) strukturell nicht überlebensfähig ist und die Träger dieser Leistung in wenigen Monaten Insolvenz anmelden müssen. Unterm Strich bedeutet das: Kinder mit Behinderung, die auf Schulassistenz angewiesen sind, werden von der Teilhabe an Bildung ausgeschlossen.

Ist das nicht deutlich genug gesagt?

Ich erlaube mir, ein zweites Beispiel zu nennen. Eine Beratungseinrichtung hat sich schon im April mit folgenden Worten an uns gewandt:

Uns und anderen Beratungsstellen brechen die Einnahmen aus den Fortbildungen weg … und wir befürchten, dass die Spenden für alle zurückgehen werden … und auch weniger Bußgelder zugeteilt werden, da die Gerichte nur eingeschränkt arbeiten.

Wir können gar kein Kurzarbeitergeld beantragen, weil alle derzeit voll arbeiten ... Wenn wir die Einnahmeausfälle nicht kompensieren können, werden wir … wenn uns das Geld ausgeht, doch Kurzarbeit beantragen müssen, dann, wenn unsere Beratungskapazitäten … voll gebraucht würden. Das muss unbedingt verhindert werden.

Das sehe auch ich so. Das muss unbedingt verhindert werden. Dazu braucht es endlich eine Verordnung, die regelt, dass eine 100-prozentige Finanzierung für die Maßnahmen sozialen Träger auch in Hessen möglich ist.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Es gibt aber auch einige soziale Träger, die vor vergleichbaren Problemen stehen, vom SodEG aber nicht erfasst werden, z. B. die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen oder Vereine mit kleineren Angeboten und Projekten. Auch da entstehen Kosten, weil sie etwa eine Onlineberatung anbieten oder neue Technik anschaffen müssen, und auch Hygienemaßnahmen kosten ein Schweinegeld. Die Eigenmittel sind fast aufgebraucht.

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich komme gleich zum Ende. – Lassen Sie uns ein deutliches Zeichen an die vielen sozial engagierten Vereine und Verbände richten. Stimmen Sie deshalb dem gemeinsamen Antrag der SPD und der LINKEN zu. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE und SPD)