Reden im Landtag

Christiane Böhm - Soziale Einrichtungen brauchen 100 Prozent

Christiane Böhm
Christiane BöhmSoziales

In seiner 39. Plenardebatte am 6. Mai 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die fianzielle Förderung der Sozialdienstleister. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm:

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Da wir heute dauernd beim Dankesagen sind, möchte ich auch gern der Kollegin Danke sagen, die unser Pult dauernd desinfiziert. Ich denke, das ist eine sehr nette Geste.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ein Schüler, der eine Ausbildung zum Physiotherapeuten macht, sagte in der Anhörung im März: „Ich bezahle, um Menschen zu helfen“. Das bringt es auf den Punkt. Die Schüler und Schülerinnen haben uns deutlich vorgerechnet, wie es ist, wenn man als Schüler 450 € pro Monat zahlen muss, um eine Ausbildung zu machen. Wie man davon leben soll, steht wirklich in den Sternen. Da braucht man Sponsoren, z. B. Eltern oder Großeltern. Ein Kredit kommt nicht infrage, weil man hinterher nicht viel verdient und die Kreditraten und die Zinsen nie zahlen könnte.

Dabei sind das alles systemrelevante Berufe, und es ist wirklich tragisch, dass man die ganze Zeit zu einem wirklich großen Teil Schulgeld zahlen musste, um sie zu erlernen. Physiotherapeuten sind Menschen, die oft Operationen verhindern, Schmerz lindern und Menschen in die Lage versetzen, ihrem täglichen Leben nachzugehen. Die Logopäden helfen ebenso wie die Ergotherapeuten. Die Podologen sind ungeheuer wichtig für Diabetikerinnen und Diabetiker. Medizinische Masseurinnen und Masseure, Diätassistentinnen und Diätassistenten, Orthopädistinnen und Orthopädisten, pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten – all das sind total wichtige Berufe. Sie alle sind schlecht bezahlt, und sie alle haben zu wenige Auszubildende, die, wie schon gesagt, während ihrer Ausbildung auch noch Schulgeld zahlen müssen.

Es ist gut, dass das im Sommer geändert werden soll: Das Schulgeld soll vonseiten des Landes übernommen werden. Eigentlich ist das nur logisch; denn würden diese Ausbildungen, vonseiten des Landes organisiert, in beruflichen Schulen stattfinden, hätten diese Schülerinnen und Schüler schon lange kein Schulgeld mehr zahlen müssen. Das Land hätte stattdessen für die Ausbildungen aufkommen müssen; denn Bildung darf die Menschen, die sie in Anspruch nehmen, eigentlich nichts kosten.

(Beifall DIE LINKE)

Wir erwarten, dass die Schulgeldfreiheit auch für all die gilt, die die Ausbildung bereits begonnen haben. Aber außer dem heftigen Nicken der Staatssekretärin gab es dazu keine klare Aussage. Meine Damen und Herren, da erwarten wir von Ihnen noch eine klare Ansage.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sehen es aber als notwendig an, dass den Schulen nicht nur die Beiträge erstattet werden, die Sie jetzt als Schulkosten annehmen, sondern alle für eine qualifizierte und anspruchsvolle Ausbildung erforderlichen Beiträge.

Frau Dr. Sommer hat in der Anhörung die Vertreter der Schulen gefragt, was die Ausbildung pro Schüler bzw. Schülerin kostet. Die Kosten reichen von 12.000 € bis 16.000 € pro Jahr. Wenn wir, wie im Haushaltsplan aufgeführt, 650 Schülerinnen und Schüler hätten, wären das ungefähr 10 Millionen € pro Jahr. Meine Damen und Herren, das wäre nicht zu viel verlangt. Da hätten Sie gern unserem Antrag auf Übernahme der Schulgebühren und von Beiträgen zu einem wirtschaftlichen Schulbetrieb unter Berücksichtigung aktueller Ausbildungsstandards zustimmen können.

Aber die SPD hat Ihnen jetzt eine zweite Chance gegeben, nicht wieder eine halbe Sache zu machen – ich beziehe mich auf meine gestrige Rede –, die Sie über kurz oder lang korrigieren müssten. Meine Vorrednerin hat gerade gesagt, dass wir bei diesem Thema nicht am Ende sind und wir wahrscheinlich im nächsten Jahr wieder hier stehen und darüber reden, dass das Geld absolut nicht reicht.

Es handelt sich hier um anspruchsvolle Ausbildungen. Nicht umsonst geht ein großer Teil der Ausbildungen in

Richtung eines Studiums, oder es gibt bereits ein solches Studium an den Hochschulen. Das wäre für das Land viel teurer. Jetzt aber müssen die Berufsanfängerinnen und -anfänger nach der Ausbildung umfangreiche Fortbildungen auf eigene Kosten absolvieren, um den Erfordernissen der Krankenkassen nachzukommen. Sonst können ihre Leistungen gar nicht abgerechnet werden.

Hinzu kommt, Sie sorgen schon wieder dafür, dass Lehrkräfte an diesen Schulen in prekären Verhältnissen arbeiten. Sie können oft genug nur als Honorarkraft oder in Teilzeit beschäftigt werden, was sich aber natürlich auf Qualität und Kontinuität auswirkt. Das ist wieder ein Beispiel dafür, wie das Land prekäre Beschäftigungen – meist von Frauen – fördert. Meine Damen und Herren, da möchte ich am Equal Pay Day keine Krokodilstränen bei Ihnen sehen. Sie fördern das.

(Beifall DIE LINKE)

Hinzu kommt, dass diese Schulen, da sie privat sind, nicht von den Zuwendungen aus dem Digitalpakt profitieren können. Es ist sehr wichtig, dass diese Schulen weiter existieren; denn wenn sie jetzt zu wenig Geld bekommen – bei den Logopäden sind schon drei von fünf Schulen geschlossen worden, die vierte steht auf der Kippe; bei den Podologen sieht es ganz düster aus, und in vielen Fachbereichen gibt es überhaupt keine Schule mehr in Hessen –, werden wir weniger Ausbildungskapazitäten haben. In diesen wesentlichen Berufen brauchen wir aber wesentlich mehr Ausbildungskapazitäten.

Da möchte ich auf eine in der Anhörung gestellte Forderung zurückkommen: Ein Monitoring der Gesundheitsfachberufe würde hier zu mehr Klarheit führen, sodass wir sähen, welchen Bedarf es gibt und wie viele Ausbildungsstätten wir eigentlich brauchen. Keine Schulen zu haben bedeutet, keine Fachkräfte zu haben; keine Fachkräfte zu haben bedeutet bei einer älter werdenden Gesellschaft, keine Hilfen zu haben; und keine Hilfen zu haben bedeutet schwerere Erkrankungen und mehr Unterstützung anderer Art. Letztendlich wird das Ganze entweder tödlich oder teurer.

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Eine richtige Vorsorge sieht anders aus. Wie es so heißt: Am Ende wird alles gut. Wenn es noch nicht gut ist, ist es nicht zu Ende. – Sprechen wir uns im nächsten Jahr wieder. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)