Reden im Landtag

Christiane Böhm - Landesregierung muss mehr für Gesundheitsämter tun

Christiane BöhmGesundheit

In seiner 89. Plenarsitzung am 07. Dezember 2021 diskutierte der Hessische Landtag zur zweiten Lesung des Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte auch zu dem Gesetzentwurf betreffend den öffentlichen Gesundheitsdienst sprechen. Lassen Sie mich eingangs festhalten, dass das gewählte Verfahren vollkommen unangemessen ist. Ein so wichtiges Gesetz, mit dem die Grundlagen des öffentlichen Gesundheitsdienstes novelliert werden sollen, im Rahmen einer Regierungserklärung „einfach so“ mit abzuhandeln, ist vollkommen unangemessen. (Stephan Grüger (SPD): Hört, hört!) Die Gesundheitsämter leisten aktuell Unvorstellbares und haben bereits Unvorstellbares geleistet. Sie hätten es verdient, dass wir ihnen die angemessene Aufmerksamkeit zukommen lassen. Das gilt aber nicht nur für diesen Gesetzentwurf. Wir haben morgen und übermorgen noch zwei weitere Gesetzentwürfe zu beraten, bei denen das Gleiche gilt. Ich muss sagen, ich bin unglaublich wütend auf die Landesregierung und auf die die Regierung tragenden Fraktionen. Die Abgeordneten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kanzlei und der Ministerien, die Anzuhörenden und die Betroffenen werden in einem Parforceritt durch eine Vielfalt von Gesetzesvorhaben getrieben, was eine fundierte Befassung verunmöglicht. Ich denke, das ist auch Ihre Absicht. Sie wollen verhindern, dass sich die Opposition intensiv mit den Gesetzentwürfen auseinandersetzt, dass sie Menschen befragt, die von den Regelungen betroffen sind, dass sie mit den Praktikerinnen und Praktikern spricht, was geändert werden muss, und dass sie eigene Vorschläge entwickelt. Damit unterminieren Sie jegliches demokratisches Verfahren im Landtag. (Beifall DIE LINKE – Zuruf CDU) Im Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss hatten wir innerhalb von zehn Tagen vier Anhörungen, die jeweils bis zu sechs Stunden gedauert haben. Wenn Sie mir jetzt wahrscheinlich entgegnen, dass meine Fragen zu der langen Sitzungsdauer beigetragen haben: Ja, das ist richtig. Das ist mein gutes Recht. Im Gegensatz zu Abgeordneten anderer Fraktionen nehme ich Gesetze, die die Lebens- und Arbeitsrealität von Menschen und ihre Gesundheit betreffen, die die Aufgaben und die Finanzen der Kommunen betreffen, die die Menschenrechte betreffen, verdammt ernst, und zwar so ernst, dass ich auch den Anspruch erhebe, mit Änderungsanträgen Alternativen zu Ihren eindeutig schlechten Gesetzesvorlagen zu bieten. Das ist die Aufgabe der Opposition, und dafür braucht sie die notwendige Zeit. Die ist aber nicht gegeben, wenn wir innerhalb von zehn Tagen Tausende Seiten Anhörungsunterlagen durcharbeiten müssen und sieben Gesetzentwürfe eine Rolle spielen. Ich erwarte von dieser Landesregierung, insbesondere vom Sozialminister, dass endlich eine vorausschauende und langfristige Planung für die Novellierung von Gesetzen gemacht wird. Kommen Sie mir nicht mit Corona; dieses Thema kann nicht für alles herhalten. (Beifall DIE LINKE) Meine Damen und Herren, meine Wut ist zwar noch nicht verraucht, aber ich möchte die verbliebene Zeit nutzen, um konkret über den Gesetzentwurf zu sprechen. Alle werden jetzt sagen: Es hat sich ja keiner zu dem Gesetzentwurf geäußert, der ÖGD steht wegen Corona sowieso im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. – So viel Aufmerksamkeit hat er gar nicht bekommen. Ich habe das Handeln des ÖGD, z. B. der Gesundheitsämter, schon zuvor sehr aufmerksam betrachtet und gesehen, was sie alles leisten: Schuleingangsuntersuchungen, ein Gesundheitsmonitoring, Analysen der Umwelteinflüsse auf die Gesundheit von Meschen. Ich kann bei uns im Kreis ganz gut beobachten, wie notwendig das alles ist. Das Gleiche gilt für die sozialpsychiatrischen Dienste und die Lebensmittelkontrolle. Wir haben spätestens beim Wilke-Wurst-Skandal erlebt, wie wichtig es ist, dass vor Ort eine Lebensmittelkontrolle stattfindet. Ich habe mich aber immer gefragt: Wie ist es eigentlich möglich, dass so viele Aufgaben von so wenigen Personen erledigt werden können? Das kann doch gar nicht funktionieren. – Dann kam Corona, und damit kam uns all das, was vorher war, wie eine Kleinigkeit vor. Nun zieht die Landesregierung erste Schlüsse aus der Pandemie. Ich kann nach der Anhörung nur sagen – auch wenn es ein paar unstrittige Änderungen gibt –: Es ist gut, dass das Gesetz auf kurze Zeit befristet werden soll. Die Stellungnahmen der Anzuhörenden haben nämlich deutlich gemacht, dass im öffentlichen Gesundheitsdienst sehr vieles im Argen liegt, völlig unabhängig von der Pandemie. Dabei geht es, wenig überraschend, in allererster Linie ums Geld. Vielleicht ist bei den die Regierung tragenden Fraktionen in Vergessenheit geraten, dass es den Fachbegriff Konnexität gibt. Wenn die Mehrheit dieses Hauses entscheidet, den Kommunen neue Aufgaben zu übertragen, dann hat sie auch die Finanzierung zu sichern. Da Sie das ständig vergessen, haben wir einen Änderungsantrag eingereicht. Hier ist es auch wieder so. Mit dieser Gesetzesnovelle erhält der öffentliche Gesundheitsdienst neue Kompetenzen und Aufgaben. Aber dann müssen Sie die Kommunen auch in die Lage versetzen, dies fachgerecht umzusetzen. Dafür braucht es Personal und finanzielle Mittel. Sie helfen weder mit dem einen noch mit dem anderen. Klatschen allein wird hier auch nicht helfen. (Beifall DIE LINKE) Stattdessen verfallen Sie auf Tricksereien: Die Ausstattung der Gesundheitsämter soll „im Rahmen der verfügbaren Stellen und Mittel“ erfolgen, so Ihr Gesetzentwurf. Das heißt doch nichts anderes, als dass die Gesundheitsämter in reicheren und ärmeren Kommunen je nach Finanzlage eine bessere oder eine eingeschränkte Arbeit leisten müssen. Aber allerspätestens seit dieser Pandemie müsste doch selbst der Landesregierung klar sein, dass eine eingeschränkte Arbeit eines Gesundheitsamtes in keiner Weise tolerierbar ist und direkt Menschenleben gefährdet. In der Anhörung wurde gerade von Frau Dr. Böhm von der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung deutlich gemacht, dass der öffentliche Gesundheitsdienst in der Zukunft noch viel mehr Aufgaben haben wird. Die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels, ein neues Verständnis von Prävention, ein ganzheitlicher Ansatz von Gesundheitsförderung und viele weitere Dinge werden ohne einen starken öffentlichen Gesundheitsdienst nicht erfolgreich bewältigt werden können. Ein Gesundheitsamt nach Kassenlage kann einem solchen Anspruch nicht gerecht werden. Deshalb muss das ersatzlos gestrichen werden und eine vernünftige Finanzierung unter Beteiligung des Landes stattfinden. Das schlagen wir mit unserem Änderungsantrag vor. (Beifall DIE LINKE) Ich komme zum zweiten Punkt. Sie haben in den letzten Jahrzehnten viele Aufgaben in Hessen kommunalisiert. Das haben Sie gemacht, um Geld zu sparen, um kein Geld des Landes ausgeben zu müssen. Das führt aber zu massiven Problemen auch im ÖGD. Wenn der Sprecher der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Hessen und Leiter des Gesundheitsamtes Darmstadt, Dr. Jürgen Krahn, in seiner Stellungnahme erklärt, dass er „neidvoll“ auf andere Bundesländer schaut, die ein Landesgesundheitsamt haben, und wenn Dr. Reygers von der Landesärztekammer ausführt, dass aktuell eine Ärztin in Teilzeit im Regierungspräsidium Darmstadt als Ersatz für das Landesgesundheitsamt dienen muss, dann wundert mich vieles gar nicht, was in den letzten Jahren und gerade in den letzten eineinhalb Jahren schiefgelaufen ist. Interessant ist auch, dass das Hessische Landesprüfungsund Untersuchungsamt im Gesundheitswesen von keinem der Anzuhörenden als wesentliche Unterstützung angesprochen wurde – wobei das bei dieser schlechten personellen Ausstattung eigentlich kein Wunder ist. Aber theoretisch hätte es jetzt schon ganz schön viele Aufgaben. Ich denke, da gibt es eine ganze Menge an Aufgaben und Baustellen, die Herr Klose jetzt unbedingt einmal anpacken muss. Da kann er nicht warten, bis die Pandemie oder seine Amtszeit vorbei ist – ob das eine oder andere früher ist, wissen wir bei der halbherzigen Pandemiebekämpfung gerade nicht. Wenn ich mir anhöre und ansehe, was die Expertinnen und Experten gesagt haben: Wir brauchen wirklich ein personell und sachlich gut ausgestattetes Landesgesundheitsamt – also eine zentrale Stelle im Land –, das die zentralen Fragen der Koordination absichern kann, das Fachwissen für hoch spezialisierte Fragen für die kommunalen Gesundheitsämter bereitstellt und die vielen Baustellen in anderen Bereichen abräumt – ich erinnere nur an die Anerkennung der ausländischen Berufsabschlüsse in den Gesundheitsfachberufen; da hapert es ganz toll – und die Arbeit auf ein neues Niveau hebt. Also, entwickeln Sie ein gut funktionierendes Landesgesundheitsamt. Dann hätten Sie auch endlich einmal etwas geschafft, Herr Klose. Als erster Schritt in diese Richtung sollte das hessische Landesamt eine Landesgesundheitsberichterstattung entwickeln und mehr Kompetenz zur Beratung der kommunalen Gesundheitsämter bereitstellen, wie es von vielen der Anzuhörenden gefordert wird. Ich möchte noch auf einen dritten Punkt eingehen, die Forderung nach einem eigenen Paragrafen für den sozialpsychiatrischen Dienst. Es ist mir eigentlich ziemlich egal, ob man einen Paragrafen hier oder da hat; aber die Argumentation hat mich überzeugt. Der sozialpsychiatrische Dienst wird an Bedeutung zunehmen. Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz werden wir morgen beraten; das ist Ihre Entscheidung, das ist auch Wille der schwarz-grünen Regierungsmehrheit. Aber es geht leider überhaupt nicht aus diesem Gesetzentwurf hervor. Sie können nicht in einem Plenum ein Gesetz verabschieden, das sich überhaupt nicht auf den Gesetzentwurf im selben Plenum, sondern auf das alte Gesetz bezieht. Das kann so überhaupt nicht funktionieren. Wir haben die Situation, dass die sozialpsychiatrischen Dienste total unterschiedlich sind, dass wir hier wieder arme und reiche Städte und Kreise haben – meistens sind es die Kreise, die ärmer sind. Es gibt sozialpsychiatrische Dienste, in denen gar kein Mensch mit psychologischer oder psychiatrischer Ausbildung arbeitet, und das ist vollkommen unangemessen. Sie greifen in diesem Gesetz auch die Krisenhilfen nicht auf. Nicht einmal die Abstimmung von zwei Gesetzentwürfen, die in einer Plenarsitzung beraten werden, ist Ihnen möglich. Das ist echt ein Trauerspiel. Wenn es nicht so tragisch wäre, wäre es lustig. Diese Problematik greifen wir genauso auf wie die flächendeckende Schaffung von jugend- und kinderpsychiatrischen Diensten als Teil der sozialpsychiatrischen Dienste. Da haben wir ein riesiges Gap. Wir wissen, in der Corona-Pandemie sind Kinder und Jugendliche besonders hart betroffen. Hier braucht es auch besondere sozialpsychiatrische Dienste und eine spezifische Kompetenz. Dafür haben wir uns sogar eine Übergangsfrist überlegt. Das ist zwar ambitioniert, aber wir sollten dieses drängende Problem nicht aufschieben. Natürlich sind mit unseren Änderungsvorschlägen nicht alle Baustellen gelöst. Es braucht wirklich eine grundsätzliche Revision dieses Gesetzes, und es braucht eine grundsätzliche Revision des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Ich glaube, das sind viel größere Herausforderungen, als es bisher einigen bewusst geworden ist. Deswegen können wir auch mit unserem Änderungsantrag nur ein paar Schritte in die richtige Richtung weisen. Aber ich denke, diese Schritte wären jetzt notwendig, um dann weitere Schritte gehen zu können. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Zum Abschluss möchte ich meiner Fraktionsvorsitzenden Elisabeth Kula danken, dass sie mir einige Minuten ihrer Redezeit abgegeben hat, um zu diesem wichtigen Thema zu sprechen; denn das ist in der bisherigen Debatte vollkommen untergegangen. – Ich bedanke mich. (Beifall DIE LINKE)