Reden im Landtag

Christiane Böhm: Kein Schritt zu zeitgemäßer und gewaltfreier Psychiatrie

Christiane BöhmGesundheitSoziales

In seiner 82. Plenarsitzung am 28. September 2021 diskutierte der Hessische Landtag zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz und Maßregelvollzugsgesetz. Dazu die Rede unserer sozial- und gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Gerne hätte ich so viel Hoffnung wie meine zwei Vorredner. Leider muss ich Ihnen sagen, dass das nicht der Fall ist. Vielleicht haben Sie einen anderen Gesetzentwurf gelesen.

Herr Klose, Sie sind 2019 nach dem öffentlichen Skandal um die Psychiatrie in Frankfurt-Höchst angetreten, alles besser machen zu wollen. Jetzt legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der kaum besser ist als das Gesetz, das 2016 vorgelegt und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN getragen wurde, wobei ich überhaupt nicht verstehen kann, wie Sie das tun konnten.

Immerhin schaffen Sie es nach drei Jahren, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen und damit eine Regelung für die Fixierung bei der Unterbringung im Landesrecht zu treffen.

Wenn Sie so viel Zeit gebraucht hätten, um diese massiven Einschränkungen der Würde und Freiheit, diese Grundrechtseinschränkungen, so zu gestalten, dass sie rechtskonform sind, so selten wie möglich und so schonend wie möglich stattfinden, dann würde ich nichts sagen. Dann würde ich sagen: Okay, na ja, es hat halt länger gedauert, aber es ist etwas Gutes dabei herausgekommen. – Das ist aber nicht so, das kann ich leider nicht sagen.

Sie bringen es doch tatsächlich fertig, gegen die recht klare Regelung des Bundesverfassungsgerichts deutlich zu verstoßen. Ich will jetzt nur einen dieser Hämmer aus dem Gesetzentwurf zitieren, weil ich leider zu wenig Zeit dazu habe.

Sie schaffen eine neue Kategorie in § 21. Sie legen fest, dass nur bei der Aufhebung der Bewegungsfreiheit an allen Gliedmaßen eine 1:1-Betreuung und damit ein unmittelbarer Richtervorbehalt notwendig ist. Wenn z. B. nur eine Dreipunktfixierung angelegt wird, wird trotzdem die Freiheit entzogen. Man kann nicht zur Toilette gehen, man kann sich noch nicht einmal am Kopf kratzen, wenn beide Arme fixiert sind. Man kann sich nicht strecken, kaum bewegen. Das widerspricht den PsychKHGs der anderen Bundesländer, und es widerspricht sogar dem Hessischen Strafvollzugsgesetz, in dem der unmittelbare Richtervorbehalt viel früher greift.

(Beifall DIE LINKE)

Ich muss darauf hinweisen: Die Justizministerin hat nicht nur eine gerichtskonforme Regelung getroffen, nein, sie hat sie schon vor drei Jahren in den Landtag eingebracht. Das heißt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verschärft ohne Not und im Gegensatz zu einer CDU-Ministerin die Vorschriften für den Freiheitsentzug. Das ist wirklich nur einer der Hämmer in diesem Gesetzentwurf.

Meine Enttäuschung über die GRÜNEN hält sich leider inzwischen in Grenzen, weil ich nicht mehr viel erwartet habe. Im Gegensatz zu diesen martialischen Maßnahmen stehen die mageren Vorschriften zur Prävention und Krisenintervention. Es ist gut, dass Gemeindepsychiatrische Verbünde gebildet werden, so wie es sie in den anderen Bundesländern schon ewig gibt, und dass es sie jetzt auch in Hessen geben muss.

Es ist gut, dass eine Psychiatriekoordination vorgeschrieben ist. Dies und die weiteren Aufgaben des Sozialpsychiatrischen Dienstes sind doch nur zu finanzieren, wenn das Land den Kommunen die Ressourcen zur Verfügung stellt. Mit den Aufgaben ohne Finanzausgleich legt die Landesregierung den Kommunen ein dickes Ei ins Nest. Wie wird das ausgehen? Das geht auf Kosten der Menschen, die Hilfe suchen, die Unterstützung in psychischen Krisen brauchen, deren Angehörige verzweifelt Ansprechpartnerinnen suchen. Das geht auf Kosten derjenigen aus, die bei einem Polizeieinsatz erschossen werden oder lange in der Forensik landen.

Die Hessische Landesregierung hat kein Problem damit. Forensische Kapazitäten werden weiter ausgebaut. Da weint sie überhaupt nicht über die Kosten, die wesentlich höher liegen, als wenn man in die ambulante oder präventive Versorgung investieren würde.

Sie schreiben in Ihren Gesetzentwurf – Herr Dr. Bartelt hat es zitiert –: „Außerhalb der Regelarbeitszeiten sind Krisenhilfen vorzuhalten.“ Was bedeutet das jetzt? Warum wird nicht klar gesagt, dass man Krisenhilfen wie in Bayern oder in Oberösterreich z. B. rund um die Uhr haben muss, dass Hilfen aufsuchend sein müssen? Warum werden keine Krisenpensionen vorgehalten für Menschen in einer psychischen Krise, die für einige Tage zur Ruhe kommen müssen? Ja, weil es keine andere Hilfe gibt, schickt man die Leute in die Klinik. Die Kosten übernimmt die Krankenversicherung, und die nicht ausreichende Nachbetreuung führt sie dann in eine erneute Krise und zum Klinikaufenthalt.

Die Hoffnung von Dr. Bartelt kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Die Drehtürpsychiatrie wird weiter bestehen, bis die Erwerbsunfähigkeit eintritt und die Krankheit den Lebensmut und die Gesellschaftsfähigkeit vermindert. Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur eine große Enttäuschung für alle, die selbst oder deren Umfeld von psychischen Krankheiten betroffen sind und die damit professionell zu tun haben. Er ist auch völlig unambitioniert.

Dänemark hat sich klare Ziele gesetzt, wie die Anzahl von Zwangsmaßnahmen zurückgefahren werden kann. Dieses Interesse fehlt in Hessen völlig. Ich erwarte von dieser Landesregierung eine klare Perspektive, wie die ambulante Hilfe vor der stationären Behandlung gestärkt werden kann, wie es möglich ist, in psychiatrischen Kliniken tatsächlich Betten abzubauen und dafür zu sorgen, dass die Menschen weiter in ihrem häuslichen Umfeld leben und weiter an ihrem Arbeitsplatz tätig sein können. Ich erwarte eine Perspektive für eine psychiatrische Medizin, die statt Psychopharmaka und Neuroleptika die Vielzahl anderer Therapien nutzt und sich wirklich anstrengt, Forensik und Zwangsmaßnahmen überflüssig zu machen.

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin Böhm, die Redezeit ist abgelaufen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich komme zu meinem letzten Satz: Hessen braucht einen Aktionsplan für eine gewalt- und eine medikamentenärmere Psychiatrie, die ein Teil des Lebensumfelds des Menschen ist. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)