Reden im Landtag

Christiane Böhm - Impfskepsis mit Aufklärung statt Druck überwinden

Christiane BöhmCoronaGesundheit

In seiner 87. Plenarsitzung am 10. November 2021 diskutierte der Hessische Landtag über die Corona-Politik der Landesregierung. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich möchte ich zu dieser wenig vernunftbegabten Rede nicht so viel sagen. Aber mit Ihrer Kritik schütten Sie das Kind förmlich mit dem Bade aus. (Zuruf AfD) Sie haben nur Interesse, sich bei bestimmten Gruppen anzubiedern und Ihren Honig daraus zu saugen. Deswegen haben Sie dieses Feuerwerk abgezogen. (Zurufe AfD) Aber ich denke, wir müssen in die Zukunft blicken. Wir sind jetzt im zweiten Corona-Herbst mit hohen Inzidenzen und einer hohen Auslastung der Intensivstationen. Somit kann ich gut nachvollziehen, wenn die Landesregierung die Verordnungen verschärfen will. Diese Inzidenzen sind insbesondere erschreckend, weil die Anzahl der Tests in den letzten vier Wochen massiv abgenommen hat. (Gerhard Schenk (AfD): 1,5 Millionen in einer Woche!) Es geht allerdings um das Wie, also wie man es machen will. Da muss ich wahrscheinlich einiges wiederholen, was ich im September gesagt habe oder was meine Kolleginnen und Kollegen zuvor gesagt haben. Denn wir haben in dieser Frage wirklich nichts zurückzunehmen. Wir haben deutlich gesagt, dass sich die schweren Erkrankungen weitgehend auf die nicht Geimpften konzentrieren werden und sich deshalb die Frage stellt, wie wir mehr Menschen gewinnen können, sich der Impfung zu unterziehen. Der Druck, der in den letzten Wochen auf Ungeimpfte mit dem Wegfall der Lohnfortzahlung in der Quarantäne und mit den kostenträchtigen Schnelltests ausgeübt wurde, hatte keine Wirkung auf die Erhöhung der Impfquote. Das muss man doch auch einmal realistisch einschätzen. Noch immer ist etwa ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung nicht geimpft. Es gibt viele, die angesichts dessen, aus persönlicher Sicht vielleicht verständlich, in Empörung verfallen. Das hilft uns aber nicht weiter und darf auch nicht das politische Handeln bestimmen. Aber auch die nicht Geimpften dürfen natürlich nicht vergessen, dass sie diejenigen sind, die voraussichtlich demnächst, vielleicht sogar auch schwerer, erkranken werden. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, mit ganz unterschiedlichen Leuten, die nicht geimpft werden wollen. Die Motive, die ich gehört habe, sind sehr unterschiedlich. Ich habe aber nicht mit Corona-Leugnerinnen und -Leugnern gesprochen, weil ich denke, es hat wenig Zweck, mit denen zu reden. (Zuruf Gerhard Schenk (AfD)) Es gibt aber eine Menge anderer Menschen, die Angst vor Spritzen haben oder auch Spritzenphobien, die Angst haben, dass es gentechnisch hergestellte Impfstoffe gibt. Sie haben Angst vor einem Impfstoff, der so schnell auf den Markt gekommen ist, dass man nicht beobachten kann, wie er sich verhält. Es gibt Menschen, die eine prinzipielle Skepsis gegenüber der sogenannten Schulmedizin haben. Es gibt auch Menschen, die zunehmend sagen, dass sie diesem Staat nicht mehr vertrauen und Angst davor haben, was mit ihnen passiert. Das sind nicht nur Menschen, die Corona leugnen; das höre ich auch von anderen, dass sie skeptisch gegenüber staatlichen Einrichtungen sind. Da kommen Argumente, welchen Einfluss die Pharmalobby hat; die Gewinne der Unternehmen an den Impfstoffen sind gerade exorbitant. Es kommen auch andere Argumente. Wir haben heute Morgen darüber gesprochen, dass es notwendig ist, über die sozialen Ursachen dieser Vertrauensverluste, die in Aggressionen gegenüber Rettungskräften, Polizeibeamtinnen und -beamten und Angestellten gipfeln, zu sprechen. Durch die Pandemie verstärken sich solche Tendenzen ungeheuer. Was passiert jetzt, wenn wir auf diese Menschen Druck ausüben? Die meisten werden in ihrer Haltung bestärkt, sie verharren darin und werden sich erst recht nicht impfen lassen. (Zuruf Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Unruhe) Das heißt, mit einer PCR-Testpflicht bzw. der 2G-Regelung oder 3G-plus werden Sie nur mehr Rückzug und Einigelung erhalten, aber kaum Menschen, die weiter impfbereit sind. (Zuruf Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Anhaltende Unruhe) Das ist doch unser Interesse. Ich möchte es noch einmal klar und deutlich sagen – könnten Sie vielleicht aufhören, zu murmeln; das ist wirklich ein bisschen nervend –: DIE LINKE empfiehlt allen Personen im Rahmen der STIKOVorgaben die Impfung gegen Corona. Aber wenn wir einen umfassenden Impfschutz der Bevölkerung erreichen wollen, dann hilft nicht Druck, sondern Aufklärung und Niedrigschwelligkeit. (Beifall DIE LINKE – Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit einem Jahr!) Diejenigen, die impfbereit sind und noch keine passgenaue Gelegenheit hatten, oder diejenigen, die eine Booster-Impfung suchen, brauchen die mobilen Teams, die wir z. B. im Kreis Groß-Gerau haben. Ich habe einmal nachgesehen, 15 Impftermine werden in Rats- und Bürgerhäusern, in Kultureinrichtungen, in Turnhallen, in religiösen Einrichtungen und Vereinen angeboten. Dort gehen die Leute unproblematisch hin. Vor ein paar Tagen habe ich mit einem älteren Herrn gesprochen, der sich an den VdK in meinem Heimatort gewandt und um Unterstützung gebeten hat. Durch das gute Angebot des Kreises Groß-Gerau, das öffentlich bekannt ist durch die Website, Zeitungen und soziale Medien, musste er nicht auf den Tag warten, bis sein Hausarzt genügend Impfwillige gesammelt hat, und war er schnell geimpft. In Wiesbaden scheint das anders zu sein, wie man heute Morgen dem „Echo“ entnehmen konnte. Hier reicht es nicht, wenn der Innenminister Beuth meint, seine Pflicht durch die Verteilung des Impfstoffs erledigt zu haben. Hier wäre die Pflicht, eher dafür zu sorgen, dass diese Niedrigschwelligkeit überall ermöglicht werden kann. Deshalb ist es nicht lustig, wenn Noch-Gesundheitsminister Spahn fordert, die Impfzentren wieder zu eröffnen, die ja im Stand-by-Betrieb seien. Nein, Herr Spahn, Sie haben es schon gehört: Die Impfzentren sind seit 30.09. geräumt, und die Einrichtungen sollen so schnell wie möglich wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung übergegeben werden. Da kann man sich nur fragen: Was macht der Mann so beruflich? Aber das ist nicht die einzige Rolle rückwärts, die die regierenden Politikerinnen und Politiker zurzeit machen. Jetzt wird darüber nachgedacht, die Schnelltests wieder kostenlos zu machen. Na super, da hätten Sie doch einmal auf DIE LINKE hören sollen. Das haben wir Ihnen bereits im Sommer gesagt, dass es notwendiger ist, überall niedrigschwellige Impfangebote vorzuhalten, und dass es notwendig ist, dass man sich überall kostenlos testen lassen kann. Dass Sie mit Ihrem 3G-plus keine Eindämmung der Pandemie erreichen, sondern immer mehr Menschen, die über wenig Geld verfügen, aus dem gesellschaftlichen Leben verdrängen, das dürfte eigentlich auch dem Letzten klar sein. Es wird sicher nicht zu mehr Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen führen, eher im Gegenteil. Eigentlich brauchen wir ein 1G-Modell, bei dem sich alle möglichst oft testen lassen, so wie wir es hier im Landtag können. Warum soll das nicht auch der Bevölkerung zugutekommen? Das würde tatsächlich dafür sorgen, dass Infektionen frühzeitig erkannt werden. Auch Geimpfte und Genesene können die Infektion übertragen, insbesondere wenn man sorglos wird, keinen Abstand hält und keine Masken nutzt.Eine Eindämmung der Pandemie ist besonders im Interesse der Kinder, für die es unter dem zwölften Lebensjahr noch keine Impfempfehlung gibt. Sie weisen aktuell die höchsten Inzidenzen auf. Gleichzeitig wissen wir aus dem letzten Jahr, wie schrecklich das war mit den geschlossenen Kitas und Schulen und welche Folgen das für die Kinder hatte. Hier muss man dafür sorgen, dass das Infektionsrisiko in diesen Einrichtungen minimiert wird. Dazu gehören insbesondere: Lüften, Hygiene und Luftfilter. Wir müssen auch das Testgeschehen nicht nur in den Schulen, sondern auch in den Kitas ausweiten. Wir brauchen auch diese technischen Voraussetzungen, wir brauchen unbedingt mehr Personal, sodass man in kleinen Gruppen arbeiten kann. (Beifall DIE LINKE) Was in der Verordnung gut ist, das ist die Ausweitung der Testpflicht und der kostenlosen Tests in Einrichtungen für Pflegebedürftige und Behinderte sowie in Krankenhäusern. Allerdings brauchen gerade die Krankenhäuser mehr Unterstützung, finanzielle und personelle Unterstützung, um die Pandemie gut bewältigen zu können. Deswegen haben meine Kollegin Elisabeth Kula und ich einen Dringlichen Berichtsantrag eingereicht, um die Situation in den Unikliniken in Hessen zu beleuchten. Dort gibt es Brandbriefe vom Personal, Petitionen und Überlastungsanzeigen en gros. Die arbeiten dort echt unter hanebüchenen Bedingungen. Das ist weder im Interesse des Gesundheitsschutzes des Personals noch der Pflegebedürftigen und Kranken. (Beifall DIE LINKE) Aber auch in den anderen Kliniken ist das so. Die Intensivstationen laufen voll, es fehlt Personal, es fehlt auch der finanzielle Spielraum für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die Herausnahme der Pflege aus den DRGs ist in der vorliegenden Form nicht ausreichend und hilft nur partiell. Es ist notwendig, Krankenhäuser für die Behandlung von Corona-Patientinnen und -Patienten finanziell besser zu unterstützen und die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen in der Pflege entscheidend zu verbessern. (Beifall DIE LINKE