Reden im Landtag

Christiane Böhm - Hessische Landesregierung will keine Psychiatriereform

Christiane BöhmGesundheit

In seiner 90. Plenarsitzung am 08. Dezember 2021 diskutierte der Hessische Landtag zur Änderung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes und des Maßregelvollzuggesetzes. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte zwischendrin gern einmal jemanden von der Regierungsbank gehört; denn ich muss fast in dasselbe Horn stoßen wie mein Vorredner. Wie peinlich muss es eigentlich für eine Landesregierung sein, wenn alle Anzuhörenden die Gesetze anderer Länder loben? Das war nicht nur SchleswigHolstein, sondern das waren, wie ich gehört habe, die Gesetze in fast allen anderen Bundesländern. Ehrlich gesagt, für mich wäre es sehr peinlich, wenn ich mir sechs Stunden lang die Redebeiträge in einer Anhörung anhören und mir sagen lassen müsste, dass das Gesetz zwar ein paar kleine Änderungen bringt, aber weder die Prävention für Menschen in psychischen Krisen noch die Selbsthilfe, noch die Grundrechtseinschränkungen ordentlich regelt. Das ist wirklich eine peinliche Angelegenheit. (Beifall DIE LINKE, vereinzelt SPD und Freie Demokraten) Sie haben schon auf das Gesetz in Schleswig-Holstein hingewiesen, das vor einem Jahr verabschiedet worden ist. Dort ist schon in der Präambel das Recht auf Selbstbestimmung erwähnt. Das suche ich in dem ganzen hessischen Gesetz vergeblich. Ich bin schon in der ersten Lesung auf die Verfassungswidrigkeit des § 21 des Gesetzentwurfs eingegangen. Meine Auffassung wurde insbesondere von den drei Amtsrichtern, die angehört wurden, bestätigt. Ich zitiere sinngemäß Dr. Mazur vom Amtsgericht Fulda, der gesagt hat, dass eigentlich jede Form von Fixierung unter den Richtervorbehalt falle. Da kann man nicht einfach einen Teil der Fixierung herausnehmen. Da das Bundesverfassungsgericht nur einen Vorlagebeschluss zu der Fünfpunkt- und der Siebenpunktfixierung hatte, kann man nicht sagen: Die haben nur darüber entschieden, alle anderen Fixierungen können ohne einen Richtervorbehalt durchgeführt werden. – Das ist nicht sachgerecht. So kann man den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht missinterpretieren. Ich glaube, sie würden sich ziemlich darüber aufregen, wenn sie das mitbekämen. Da ich gerade von Dr. Mazur gesprochen habe: Er hat auch noch einmal deutlich gemacht – das ist ebenfalls eine Sache, die in hessischer Verantwortung ist –, dass es dringend notwendig ist, in den hessischen Psychiatrien bauliche Veränderungen vorzunehmen, um eine gewaltärmere Behandlung zu ermöglichen. Teilweise sind die baulichen Voraussetzungen so schlecht – er hat Beispiele dafür angeführt –, dass es gar nicht möglich ist, gewaltärmer zu behandeln und die Fixierung nur als letzte Konsequenz durchzuführen. Wir brauchen in den Psychiatrien unbedingt einen Timeout-Raum. Wir brauchen Außenbereiche. Ohne diese ist gerade in einer Unterbringungssituation keine ordentliche Behandlung möglich. Allerdings fehlen den hessischen Kliniken mindestens 120 Millionen € pro Jahr für Investitionen; die würden zum Teil natürlich auch den psychiatrischen Kliniken zugutekommen. Es ist eine originäre Landesaufgabe, den Kliniken dieses Geld zur Verfügung zu stellen. (Beifall DIE LINKE) Ich bleibe bei den Punkten, bei denen es um die Verfassungswidrigkeit geht. Richter Braun aus Frankfurt schlägt vor, den § 20 des Gesetzentwurfs komplett zu streichen. Er sagt, im Bürgerlichen Gesetzbuch, § 1906a, sei das viel sachgerechter formulierter; das sei sinnvoller. Besonders verfassungswidrig ist – das war allerdings im alten Gesetz auch schon so; das haben alle drei Richter übereinstimmend gesagt – eine Zwangsbehandlung bei Personen mit freier Willensbildung. Das steht leider in dem hessischen Gesetz. Da brauche ich keine Juristin zu sein, um zu verstehen, dass das tatsächlich nicht in Ordnung ist. Sie haben jetzt einen Änderungsantrag vorgelegt und in einem kleinen Bereich – was die bisherigen verfassungswidrigen Fixierungsvorschriften anbelangt – auch eine kleine Änderung herbeigeführt. Es ist schon einmal schön, dass Sie aus der Anhörung wenigstens in kleinen Punkten gelernt haben. Allerdings ist auch deutlich gemacht worden, dass auch andere Zwangsmaßnahmen unter Richtervorbehalt zu stellen sind, z. B. die medikamentöse Fixierung; denn eine Fixierung findet nicht nur mit Gurten statt, sondern auch wenn jemand unter Medikamente gestellt wird, sodass er sich kaum noch bewegen kann; auch die Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum gehört dazu. Auch das sieht der Gesetzentwurf nicht vor, so wie er vieles andere übrigens nicht vorsieht. Ich kann einen Teil von dem aufzählen, was alles kritisiert worden ist: die Bestimmungen zu den Besuchskommissionen – da haben Sie eine kleine Änderung vorgenommen, die aber nicht ausreichend ist –, das Fehlen von Vorsorgebevollmächtigten, die unzureichende Stellung von Betreuerinnen und Betreuern, die Beleihung von Kliniken – ich glaube, das ist ein Thema, mit dem man sich noch länger beschäftigen muss – und die Geringschätzung und mangelnde Unterstützung der Selbsthilfe. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Interessant war in dieser Anhörung die Darstellung der Krisenhilfen aus Bayern. Die sind teilweise schon langjährig tätig und haben viele Erfahrungen. Im hessischen Gesetz steht zwar das Wort „Krisenhilfen“ drin, allerdings gibt es im Ministerium weder eine Idee, wie diese denn umgesetzt werden sollen – welche Konzeption oder was man sich überhaupt darunter vorstellt –, noch eine Idee, wie man sie denn finanzieren würde. Es gibt auch keinen Überblick darüber, wo es schon sinnvolle Modelle gibt; denn auch in Hessen gibt es z. B. mit dem Krisendienst in Darmstadt schon ein gutes Modell. Als wäre das jetzt eine neue Sache – nein, es ist nicht neu. Es wird schon länger praktiziert, natürlich mehr in anderen Bundesländern als bei uns. Die Ambulantisierung der Psychiatrie ist spätestens seit der Psychiatrie-Enquete auf der Tagesordnung; und das ist jetzt schon viele Jahre her. Gut, dass es jetzt in einigen Kliniken mehr Home Treatment gibt, dass es gemeindepsychiatrische Verbünde gibt, dass es die Modellprojekte nach SGB V gibt – aber davon gibt es bundesweit genau 20. Das ist viel zu wenig. Auch die Psychiatriekoordinationen sind kleine Anfänge. Aber es fehlt ganz deutlich an Instrumenten für Menschen in schwierigen psychischen Situationen, die nicht an einem Programm teilnehmen oder die am Wochenende oder in der Krise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht erreichen können. Da ist natürlich die stationäre Psychiatrie immer die letzte Lösung; die reißt die Menschen aber aus dem normalen Leben und berücksichtigt auch nicht das persönliche Netz der Betroffenen. Aber das alles jetzt einfach den sozialpsychiatrischen Diensten und den Gesundheitsämtern aufzubürden – ich habe gestern über den ÖGD gesprochen – und zu sagen: „Ihr macht das schon; Geld kriegt ihr dafür nicht, aber macht doch einmal“, finde ich, ist eine wirkliche Unverschämtheit vonseiten dieser Landesregierung. (Beifall DIE LINKE) Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur völlig enttäuschend, sondern er ist auch völlig unambitioniert. Kurz vor dem Lockdown im Jahr 2020 war der Sozialausschuss in Dänemark. Dort haben wir eine psychiatrische Klinik besucht mit einem Einzugsbereich von 2,2 Millionen Menschen. Die Klinik hat 194 Betten. Demnach hätten wir in Hessen nur noch drei Kliniken. Allerdings ist es so, dass es da ein sachgerechtes ambulantes psychiatrisches Konzept gibt. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Frau Böhm, kommen Sie bitte zum Schluss. Christiane Böhm (DIE LINKE): Ja, ungerne. (Vereinzelte Heiterkeit) Ähnlich ist es beim Maßregelvollzug. Dort gibt es auch wesentlich weniger Betten – 50; wir haben sechsmal so viele. Die Klinik ist auch viel besser ausgestattet und in einer viel besseren Situation. Ich erwarte von der Landesregierung eine deutliche, klare Perspektive, wie eine ambulante und stationäre Behandlung und Unterstützung tatsächlich entwickelt werden können. Mit diesem Gesetzentwurf ist es nicht passiert. Ich beantrage die dritte Lesung. – Danke schön. (Beifall DIE LINKE)