Reden im Landtag

Christiane Böhm - Hessen braucht mehr Fachkräfte in den Kitas

Christiane Böhm
Christiane BöhmFamilien-, Kinder- und Jugendpolitk

In seiner 52. Plenarsitzung am 3. September 2020 diskutierte der Hessische Landtag über den Fachkräftemangel in den hessischen Kitas. Dazu die Rede unserer familienpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Und täglich grüßt das Murmeltier. Hier ist es die alljährliche Studie der Bertelsmann Stiftung zur Situation der frühkindlichen Bildung. Sie belegt vor allem eines: Hessen kommt bei den entscheidenden Parametern zur Qualität nicht vom Fleck. Hessen ist höchstens Mittelfeld oder schlechter.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD))

Ich weiß jetzt nicht, was das Anliegen der SPD war, heute dieses Thema zu wählen. Ich nehme einmal an, es war die Bertelsmann-Studie, die uns jedes Jahr wieder sagt, wie schlecht Hessen dasteht.

(Zuruf Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Aber es war nicht die ver.di-Aktion. Da würde ich Ihnen doch vorschlagen, Frau Ravensburg – wo sind Sie denn gerade? ach, da hinten, okay –, lesen Sie sich doch noch einmal den Brief durch, den die Kolleginnen und Kollegen von ver.di auch an Sie heute geschrieben haben. Da heißt es nämlich dank meines Kollegen Hermann Schaus, der noch lange nicht in Rente ist – weder bei ver.di noch bei uns –

(Beifall DIE LINKE) und hier noch weiterkämpfen wird – –

(Zurufe von der Regierungsbank)

  • Welche qualifizierten Bewertungen bekomme ich vonder Regierungsbank? Ich habe sie nicht verstanden.

Vizepräsident Frank Lortz:

Meine Damen und Herren, einen Moment, bitte. Die Regierungsbank ist ruhig, wenn gesprochen wird. Das stellen wir erst einmal fest.

Frau Kollegin, ich stelle aber auch fest: Sie haben einen Button an. Das konnte ich vorher nicht sehen.

(Christiane Böhm (DIE LINKE): Das macht nichts!)

  • Ja, das macht nichts. – Ich würde Sie aber bitten, ihn ab-zunehmen. Wir hatten auch die Kollegen der AfD am Anfang darum gebeten. Ich sehe es nicht ohne Brille, aber irgendetwas wird auf dem Button schon draufstehen.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Omas gegen

rechts!)

  • Das mag ja sein: Omas gegen rechts oder links oder gera-deaus. – Wir waren uns einig, dass es hier keine Buttons gibt.

(Die Rednerin nimmt den Button ab.)

  • Jetzt ist es wieder geklärt. – Gut, Sie haben das Wort.

Bitte sehr.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

In dem Brief steht nämlich drin: Soziale Arbeit ist unverzichtbar. Es geht gerade darum, dass die Arbeitsbedingungen in den sozialen Berufen aufgrund der Corona-Pandemie noch schwieriger und komplizierter geworden sind als zuvor und die Kolleginnen und Kollegen sich von Ihnen Unterstützung erwarten, dass jetzt nicht auf Kurzarbeit gesetzt wird und dass sie nicht auf diesen Finanzierungproblemen, wie das SodEG es bietet, sitzen bleiben, sondern dass sie Unterstützung bekommen, ihre Arbeit ordentlich und gut zu machen. Ich denke, da wäre es eigentlich notwendig gewesen, diesen Brief auch einmal zu lesen und nicht zu spekulieren, was vielleicht drinstehen könnte.

(Beifall DIE LINKE, Ulrike Alex und Lisa Gnadl (SPD))

Aber da Sie ihn nicht gelesen haben, sage ich es Ihnen noch einmal kurz, auch wenn es von meiner Redezeit abgeht. Es geht um eine vollständige Finanzierung der sozialen Arbeit, es geht darum, auf die aktuell erweiterten Bedarfe einzugehen und sie zu organisieren, es geht um eine Krisenzulage, die die Beschäftigten in der sozialen Arbeit und ganz besonders in der Behindertenhilfe brauchen. Es geht auch um die zusätzlichen Kosten, die dort z. B. für die Schutzausrüstung notwendig sind, und es geht um eine bessere Personalausstattung und eine Systemrelevanz der sozialen Arbeit. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Aber jetzt möchte ich gerne noch zu der Studie der Bertelsmann Stiftung kommen und dazu, was sie zu Hessen gesagt hat. Zumindest einige der fünf Punkte werde ich jetzt noch anbringen können.

Es geht darum, dass es zu wenige Kita-Plätze in Hessen gibt. Es geht darum, dass Kindern die Bildungsmöglichkeiten verbaut sind und dass Frauen die Möglichkeiten verwehrt sind, wieder in den Beruf einzusteigen. Das macht die Bertelsmann-Studie ganz deutlich. 17 % der Eltern wünschen sich eine Betreuungsmöglichkeit gerade in der Krippenzeit; sie finden aber keine.

Es gibt ein massives Stadt-Land-Gefälle bei der Betreuung. Wenn im Landkreis Hersfeld-Rotenburg im statistischen Mittel fast fünf Kinder mehr pro Kita-Gruppe betreut werden als in Darmstadt, dann hat das direkte Auswirkungen auf die Chancen der Kinder. Von gleichwertigen Lebensverhältnissen können wir daher in Hessen überhaupt nicht reden.

Das alles hat natürlich ganz viel mit Finanzierung zu tun. Wir bekommen immer wieder erzählt, dass es noch nie so viel Geld für die Kita-Betreuung gab wie jetzt. Aber was steht in der Studie? – 66,8 % aller Kosten in den Kitas werden von den Kommunen getragen. Das Land Hessen hat gerade einmal 18,5 % der Kosten beigetragen. – Ich sage:

Das ist zu wenig; das ist eindeutig zu wenig. Da brauchen Sie sich an der Stelle für nichts zu loben.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sorgen Sie endlich einmal für eine ordentliche Finanzierung der Kita-Betreuung, und hören Sie damit auf, sich ständig in die Tasche zu lügen.

Als weiteren Punkt nenne ich den Fachkräftemangel. Darüber jammern alle – na gut. Aber wie sieht denn die Situation aus? – Fast jede dritte Kita-Fachkraft unter 30 Jahren in Hessen ist nur befristet beschäftigt. Wir haben eine Befristungsquote, die weit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Da erwarte ich den Einsatz der Landesregierung. Wer hier Fachkräfte beschäftigen will, der muss ihnen auch gute Arbeitsbedingungen bieten, guten Lohn zahlen und eine ordentliche Perspektive geben.

In diesem Sinne von dieser Stelle aus natürlich einen herzlichen Gruß an die Kolleginnen und Kollegen der Sozialund Erziehungsberufe, die sich jetzt im Tarifkampf befinden und um einen deutlichen Aufwuchs im TVöD im Rahmen der ver.di-Kampagne „Mehr braucht mehr“ streiten.

(Beifall DIE LINKE und Lisa Gnadl (SPD))

Es geht auch um die pädagogischen Standards. Hier bescheinigt die Studie Hessen nur ein mittleres Niveau und warnt ausdrücklich davor, nicht pädagogische Fachkräfte verstärkt auf den Betreuungsschlüssel anzurechnen. Und was machen Sie? – Genau das Gegenteil. Gerade gegen die Empfehlungen von ver.di und der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Sie den Fachkräftekatalog massiv aufgeweicht und auch fachfremden Personen den Zugang zu den Kitas eröffnet. Offensichtlich scheint Ihnen ein mittleres Niveau hier in Hessen immer noch zu gut zu sein für die hessischen Kinder. Dass die Fachkräfte vermutlich wenig Lust haben, für die neuen Kolleginnen und Kollegen, die keine vollständige Ausbildung haben, die Arbeit mitzumachen, wird dazu führen, dass immer noch mehr Fachkräfte aus diesem Beruf herausströmen. Sie werden also genau das Gegenteil erreichen. Sie werden erleben, dass es immer weniger Fachkräfte in den Berufen gibt, weil sie sagen werden, sie hätten die Nase gestrichen voll.

Wir brauchen gute pädagogische Fachkräfte. Das ist unerlässlich. Wir brauchen mehr Personal, gute Rahmenbedingungen, und das geht nur mit einer guten Qualifikation und einer guten Anleitung, wie es unser Gesetzentwurf gefordert hat.

In keinem OECD-Land hängt die Perspektive von Kindern so stark vom Geldbeutel und dem sozialen Status der Eltern ab wie in Deutschland. Hier wäre die frühkindliche Bildung tatsächlich ein entscheidender erster Schritt, um diese Fehlstellung zu korrigieren.

Deshalb mein dringender Appell an die Landesregierung: Hören Sie auf mit der Selbstbeweihräucherung, und ignorieren Sie nicht jede Idee, die aus der Opposition kommt, wie unseren Gesetzentwurf für eine fachgerechte Praxisanleitung in den Kitas. Stellen Sie die angemessene Finanzierung endlich sicher. Hören Sie vor allem auf die Menschen, die tagtäglich im Beruf stehen. Ja, hören Sie bitte darauf. Nur so werden Fachkräfte gefunden und gehalten: indem sie gute Arbeitsbedingungen und guten Lohn für ihre hervorragende und gesellschaftlich so wichtige Arbeit bekommen.

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin Böhm, Sie müssen zum Schluss kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich bin doch schon da.

(Beifall DIE LINKE)