Reden im Landtag

Christiane Böhm: Herausforderungen in der Pädiatrie

Christiane BöhmCoronaFamilien-, Kinder- und JugendpolitkGesundheit

In seiner 74. Plenarsitzung am 19. Mai 2021 diskutierte der Hessische Landtag über eine funktionierende Gesundheitsversorgung für Kinder und Jugendliche in Hessen. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Heute haben wir sozusagen einen Kindervormittag. Das finde ich gut. Noch besser wäre es, wenn wir im Jahr der Kinder- und Jugendrechte, das in Hessen ausgerufen worden ist, mit Kindern und Jugendlichen reden und hören könnten, was diese zu sagen haben. Ich glaube, sie haben eine Menge zu sagen.

Gestern hat sich stellvertretend für die Kinder der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte zu Wort gemeldet und deutlich gemacht hat, was wir in der Kinder- und Jugendpsychiatrie zurzeit erleben müssen. Vor diesem Hintergrund finde ich den Antrag, den Sie heute Morgen vorgelegt haben, schon sehr heftig. Sie haben alle vorliegenden Stellungnahmen zu diesem Thema ignoriert. Wir haben in den letzten Jahren sehr viele Stellungnahmen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendmedizin bekommen, in denen deutlich gesagt wird: Es gibt einen absoluten Mangel und große Probleme. – Sie von den Regierungsfraktionen erzählen uns heute aber, es sei alles in Ordnung, und es gebe überhaupt keine Probleme. Das ist wirklich unerträglich. Herr Pürsün hat davon gesprochen, Ihr Antrag bewege sich „an der Grenze zur Unverschämtheit“. Ich sage: Er ist schon ein Stück darüber hinaus.

(Beifall DIE LINKE, SPD und Freie Demokraten)

Corona trifft Notstand. Es ist ca. sechs Jahre her, dass meine Kollegin Marjana Schott die Ergebnisse unserer Großen Anfrage zur Kindergesundheit im Landtag bewertet hat. Damals gab es zwar schon große Probleme, aber in Hessen war ein noch relativ zufriedenstellender Zustand gegeben. Es hieß damals, der ambulante Bereich sei zu einem großen Teil überversorgt. Sie sehen: Die Ambulanzen sind nicht nur bei der FDP gut aufgehoben.

(Heiterkeit DIE LINKE)

Es war damals schon klar, dass die Ärzte und die Ärztinnen alle einmal in Rente gehen und dass es sich sehr schnell ändert. Jetzt haben wir in der Kinder- und Jugendmedizin nur 15 freie Arztsitze. Davon befinden sich 5,5 im Schwalm-Eder-Kreis. Was machen die denn dort? Ist da schon einmal eine Lösung des Problems auf den Weg gebracht worden? Ich habe nichts davon gehört.

Man muss dazusagen, dass 12,5 Sitze für Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiater frei sind. Wir haben ganze Regionen, in denen es keinen einzigen Kinder- und Jugendpsychiater oder keine Kinder-und Jugendpsychiaterin gibt. Die Folge ist natürlich, dass die Kinder- und Jugendpsychiatrien überlaufen. Das ist deutlich. Die Wartezeiten für die Aufnahme in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie betragen weit über ein halbes Jahr. Da können Sie doch nicht sagen, es sei alles in Ordnung, und wir hätten überhaupt kein Problem.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Aber auch die Rechnungen, die angestellt werden, um herauszufinden, wie viele Betten es in den Kliniken tatsächlich gibt, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich sehe eher, dass Betten abgebaut werden. Aber es ist schon deutlich geworden, dass uns die Betten allein gar nichts nützen. Das haben die HSK – die Horst Schmidt Kliniken – gezeigt. Es ist deutlich geworden: Wenn wir kein Personal haben, nützt uns das am schönsten ausgestattete Bett nichts. Das Personal fehlt ganz klar.

Sie haben in Ihrem Krankenhausplan deutlich gemacht, dass es in der Kinder- und Jugendheilkunde einen abnehmenden Bedarf gibt. Ja, wie kommen Sie denn auf die Idee? – Das heißt ganz klar, wir haben damit zu rechnen, dass Strukturen weiter abgebaut werden.

Wir haben schon gestern in der Fragestunde gehört, wie sich das in Wiesbaden dargestellt hat: Es gab einen Aufschrei. Das war nicht nur ein Briefchen, das die Kinderund Jugendärztinnen und -ärzte geschickt haben, sondern das war ein Aufschrei. Er war auch so tituliert. Er war zur stationären Versorgung in Wiesbaden. Dann sagt Herr Klose doch ganz locker, das sei das Problem des Trägers. Er zeigt damit sehr deutlich, dass die Landesregierung überhaupt nicht gewillt ist, hier irgendeine Verantwortung zu übernehmen, und sich eher auf einem neutralen Beobachterposten als auf einem Aufsichtsposten sieht.

Dazu passt auch das: Meine Kollegin Elisabeth Kula und ich haben am 08.12.2020 eine Kleine Anfrage zur Situation der stationären pädiatrischen Versorgung in Wiesbaden gestellt. Die Antwort ist für Ende Mai angekündigt. Ich bin gespannt, ob man für die Antwort wieder zehn statt nur sechs Monate braucht, wie es bei der Anfrage zu CoronaErkrankungen des Pflegepersonals der Fall war. Da haben wir jetzt die Antwort bekommen, dass die Landesregierung doch nicht mehr wissen kann, was damals war. So viel dazu, wie ernst die Fragen der Opposition genommen werden, wenn sie so sorgsam gelistet werden, wie es gestern in der Fragestunde deutlich geworden ist.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Deutlich geworden ist in Wiesbaden auch der Ruf von Betriebsrat und Gewerkschaften, dass die Aufsichtsbehörden, also das Amt für Arbeitsschutz und insbesondere das HMSI, in die Pflicht genommen werden und endlich einmal ihren Kontrollaufgaben nachkommen müssen. In der Kinder- und Jugendmedizin mussten Betten geschlossen werden. Warum? – Ganz viel Personal hat gekündigt, weil es Stationsschließungen gab, Teams zerschlagen wurden, eine unzureichende Kommunikation stattgefunden hat und den Beschäftigten immer mehr Flexibilität abgepresst wurde. Jetzt hat der städtische Gesundheitsausschuss einen externen Gutachter beauftragt – auch ein deutliches Zeichen dafür, dass man sich von der Aufsichtsinstitution HMSI nichts erwartet, sondern davon ausgeht, dass vonseiten des Landes weder eine Planung noch eine Kontrolle, noch eine Unterstützung gegeben ist.

Wir schließen uns dem Betriebsrat und den Gewerkschaften an und fordern die Hessische Landesregierung auf, dafür zu sorgen, dass genügend Betten, insbesondere genügend Personal und eine gute Ausstattung der Kinder- und Jugendmedizin vorhanden sind.

(Beifall DIE LINKE)

Wir fordern auch, dass der Arbeitsschutz für die Beschäftigten gewährleistet ist und dass gerade den privaten Klinikbetreibern – darum handelt es sich bei den HSK und Helios vorwiegend – auf die Finger geschaut wird. Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist eine viel zu wichtige Angelegenheit, um sie dem Markt und den Mechanismen der privaten Konzerne zu überlassen.

2020 hatte Helios einen Gewinn von 670 Millionen € zu vermelden – einen Gewinn, der weitgehend durch unsere Krankenversicherungsbeiträge zustande gekommen ist, einen Gewinn, der auf Kosten der Beschäftigten, z. B. auch der Beschäftigten der HSK Wiesbaden, gemacht wurde. Auf deren Knochen, deren Gesundheit und zulasten ihrer Arbeitsplätze ging das. Obwohl sie die Arbeit gern weitergemacht hätten, gehen die Beschäftigten; denn sie halten es nicht länger aus.

Letztendlich wird dieser Gewinn auch auf Kosten der Kinder und deren Gesundheit gemacht: Kinder, die im Krankheitsfall durch die Republik gefahren werden müssen, und Eltern, die Angst haben, ob die Kinder wirklich gut versorgt sind, wenn sie das gestresste Personal sehen, und die ebenfalls weite Wege zurücklegen müssen. Die Kinder bekommen nicht die notwendige Aufmerksamkeit und Zuwendung in der Klinik, weil zu wenig Personal vorhanden ist. Das ist aber genau das, was ein krankes Kind benötigt. Sie liefern die Kinder diesen Renditejägern aus, und das ist eine skandalöse Gesundheitspolitik, die nur die Taschen der Aktionäre vollmacht.

(Beifall DIE LINKE)

Spätestens seit der Aktion „Rettet die Kinderstation“ – ich glaube, das war 2014 – muss jedem klar sein, dass die Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin über Fallpauschalen nicht funktioniert. Da hilft es auch nicht, etwas zu verbessern, sondern es müssen tatsächlich Vorhaltekosten bezahlt werden. Es kann nicht sein, dass die Kinder- und Jugendmedizin immer über andere Abteilungen der Kliniken quersubventioniert wird; denn dann muss dort wiederum gespart werden. Dann geht es dort zulasten der Beschäftigten, gerade zulasten der Pflege.

Ich fände es schön, wenn die Initiative von MecklenburgVorpommern vom Land Hessen unterstützt würde. Das fände ich eine sinnvolle Herangehensweise; denn wir brauchen hier eine deutliche Änderung. Die Cope-Studie hat das deutlich gemacht und damit auch bestätigt, was viele sagen: Die Kosten, die durch die Bedürfnisse von Kindern und den notwendigen Mehrbedarf in der Pädiatrie entstehen, sind nicht durch Fallpauschalen zu decken; denn man kann das nicht planen, man weiß doch nicht, wann ein Kind ins Krankenhaus kommt. Anders als in der HNOoder in der Augenklinik kann man nicht sagen: „Du bekommst dann und dann einen Termin“; denn bei den Kindern handelt es sich meistens um Notfallmedizin. Deutlich wurde in dieser Untersuchung auch festgestellt – das möchte ich klar sagen –, die Unterfinanzierung der Pädiatrie habe dazu geführt, dass die Versorgung kranker Kinder nicht mehr umfassend gewährleistet sei. Die Studie spricht deutlich von „gravierender Patientengefährdung“.

(Unruhe)

– Wenn man bei der FDP ein bisschen ruhiger wäre, wäre es mir recht. – Die Folge ist, dass ertragreiche Bereiche boomen, es da also einen Run gibt, und dass z. B. die Allgemeinpädiatrie noch weniger Personal und noch weniger Geld bekommt. Das führt einerseits zu einer Überversorgung und andererseits zu einer erheblichen Unterversorgung, wie wir es in anderen Bereichen haben. Die Unterversorgung betrifft ganz besonders die chronisch kranken und die schwer kranken Kinder.

Skandalös ist wirklich, dass diese Unterversorgung teilweise nur durch Spenden und Drittmittel kompensiert wird. Das ist aber auch mühselig; denn das Spendenaufkommen landet meistens in Bereichen wie der Onkologie, und dann sind die Universitätskliniken gezwungen, Gelder abzuzweigen. Zu den Investitionsgeldern ist schon einiges gesagt worden. Einsparungen können gerade in der Kinderund Jugendmedizin nur durch Personalabbau erfolgen; denn eine Mengenausweitung kann man nicht einfach vornehmen. Man kann den Kindern schließlich nicht einfach eine neue Hüfte oder ein neues Knie einsetzen oder einen Herzkatheter legen.

Deswegen ist es notwendig, eine völlig andere Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin zu organisieren und dafür zu sorgen, dass die Kosten der Krankenhausbehandlung tatsächlich 1 : 1 übernommen werden. Das würde diese Fehl- und Überversorgung viel stärker verringern als das jetzige DRG-System. Auch eine bessere Finanzierung der ambulanten Behandlung würde zusätzlich Kosten senken, da keine Aufnahme erforderlich ist.

Präsident Boris Rhein:

Frau Kollegin, Sie müssten zum Ende kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ich möchte am Schluss noch einmal deutlich machen: Kinder- und Jugendkliniken brauchen natürlich mehr pädagogisches und psychologisches Personal. Aber ich möchte auch noch einmal an Art. 24 der Kinderrechtskonvention erinnern, in dem Folgendes festgestellt wird:

Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an sowie auf die Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit. Die Vertragsstaaten bemühen sich, sicherzustellen, dass keinem Kind das Recht auf Zugang zu derartigen Gesundheitsdiensten vorenthalten wird.

Ich erwarte von dieser Landesregierung, dass ihr Handeln der Kinderrechtskonvention tatsächlich entspricht. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)