Reden im Landtag

Christiane Böhm - Hebammen: Zwischen Zensur und Mangel

Christiane Böhm
Christiane BöhmFrauenGesundheit

In seiner 52. Plenarsitzung am 3. September 2020 diskutierte der Hessische Landtag über das Hebammengutachten, welches der Landesregierung kein gutes Zeugnis bei der Versorgung mit Hebammen in Hessen ausstellt. Dazu die Rede unserer gesundheitspolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Seit November liegt das Gutachten zur Situation der Hebammen in Hessen als Geheimpapier vor. Die Teilnehmenden des runden Tisches durften das Gutachten auf keinen Fall weitergeben. Sie haben sich auch daran gehalten. Jetzt hat der Minister das Gutachten teilweise veröffentlicht. Wie Sie das mit dem runden Tisch klären, ist Ihre Sache. Warum Sie uns aber die Handlungsempfehlungen der Gutachterinnen und Gutachter vorenthalten, diese Zensur müssen Sie uns heute schon erklären.

(Beifall DIE LINKE und Dr. Daniela Sommer (SPD))

Anscheinend kann man die Schlussfolgerungen der Fachleute der Öffentlichkeit nicht zumuten. Da kann man schon die Frage stellen: Was verstecken Sie, Herr Klose?

Wenn wir uns den Rest des Gutachtens anschauen, kommt schon die Frage auf: Hätte man das nicht früher wissen müssen? Es gibt Missmanagement im Gesundheitswesen – das wissen wir –, dazu gehört auch, dass es zu wenige Hebammen im Land gibt. Diejenigen, die in Hessen als Hebammen arbeiten, fühlen sich vielfach überlastet. Fast 80 % der Hebammen haben 75 Überstunden. Die Hälfte der Hebammen ist durch die Arbeit zum Teil sehr belastet, und 30 % schätzen ihren Gesundheitszustand – physisch wie psychisch – als weniger gut bis schlecht ein. Die Hälfte der Hebammen in den Kliniken hat angegeben, dass in den letzten drei Monaten der Kreißsaal vorübergehend geschlossen wurde bzw. Frauen abgewiesen wurden. Das ist die Situation in der Geburtshilfe in Hessen.

Diese Zahlen zeugen von einem eklatanten Versagen. Diese Unterversorgung ist nicht über Nacht eingetreten, sondern wurde lange ignoriert. Jetzt hofft man im hessischen Sozialministerium anscheinend – das hat mich besonders erstaunt, gewundert, „gefreut“ in Anführungszeichen –, dass der demografische Wandel es richten werde. Wenn man die momentane Beschäftigtenzahl pro Kopf halten will – so ist das Kalkül –, wird bei einem Geburtenrückgang von 12 % bis 2030 alles gut werden. – Das ist Ihre Berechnung. Also muss der Minister nur noch darauf warten, dass in Hessen endlich weniger Kinder geboren werden. Dann hat er sein pragmatisches Minimalziel, wie es im Gutachten heißt, erreicht.

(Minister Kai Klose schüttelt den Kopf.)

Dabei ging die Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes vor elf Jahren von einem mittel- und langfristigen Rückgang der Geburtenzahlen aus. Heute wissen wir natürlich, wie falsch das war. Schon 2017 konnte das Statistische Landesamt in Hessen verkünden, dass die Geburtenzahlen im fünften Jahr in Folge angestiegen sind.

Die Hoffnung auf weniger Kinder – die ich im Übrigen sehr widersinnig finde – widerspricht doch allen familienpolitischen Maßnahmen: mehr Elternzeit, mehr Elterngeld, mehr Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Auch wenn das alles noch nicht ausreicht, soll das doch den demografischen Wandel verändern, den Sie jahrelang bejammert haben. Es gibt ja auch mehr Kinder. Sie haben vor einigen Jahren auch die Hessen Agentur beauftragt, uns zu erzählen, dass es immer weniger Schüler und Schülerinnen gibt. Aber nur davon, dass Sie das gesundgebetet haben, hat das nicht funktioniert. Jetzt müssen überall Kitas und Schulen gebaut werden, weil die Kinder einfach da sind. Ich erwarte von dieser Landesregierung – das ist das Mindeste –, dass sie aufhört, Statistiken gesundzubeten.

(Beifall DIE LINKE und Ulrike Alex (SPD))

Mehr als ein Drittel der befragten Mütter hat angegeben, dass die Suche nach einer Hebamme für die Wochenbettbetreuung sehr schwierig war. Der Zugang zur Betreuung während der Schwangerschaft ist in Hessen alles andere als selbstverständlich: 27 % der befragten Mütter haben keine Hebammenbetreuung in Anspruch genommen. Diejenigen Mütter, die sie in Anspruch genommen haben, mussten durchschnittlich sieben Hebammen kontaktieren, bis sie einen freien Betreuungsplatz gefunden hatten. Wenn Sie sich die Landkarte der Unterversorgung beim Hebammenverband anschauen, dann können Sie sehen, in wie vielen Kreisen es gar keine Möglichkeit gibt, zu einem gewissen Zeitpunkt – eine Geburt ist nicht zu verschieben – eine Hebamme zu finden.

Wenn Sie planen, diesen Notstand auszusitzen,

(Minister Kai Klose schüttelt den Kopf.) sparen Sie an der völlig falschen Stelle.

Sie haben in den vergangenen Jahren schon mit der Einstampfung der Geburtskliniken eine ungeheuer belastende Situation für Hebammen und Mütter geschaffen, und diese verschärfen Sie jetzt noch weiter. In den Jahren von 2008 bis 2019 hat sich die Anzahl von Krankenhäusern mit geburtshilflichen Abteilungen um rund ein Drittel verringert, und das Kliniksterben geht weiter.

Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken:

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Böhm.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Von den verbliebenen Kliniken geben 58 % an, dass die Hebammen meistens mehr als zwei Gebärende gleichzeitig betreuen müssen, in vielen Einrichtungen müssen sogar drei Geburten gleichzeitig betreut werden. Die Teilnehmerinnen des runden Tisches, die Eltern, die Hebammen und alle anderen sind ungeduldig, weil nichts vorangeht. Es muss Schluss damit sein, dass alle Eltern, die Mütter, die Familien und die Hebammen die Leidtragenden dieser Misere sind. – Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)