Reden im Landtag

Christiane Böhm Gute Kitas brauchen beste Fachkräfte

Christiane Böhm
Christiane BöhmFamilien-, Kinder- und Jugendpolitk

in seiner 44. Plenarsitzung am 23. Juni 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Verbesserung der Personaldiskussion in den hessischen Kitas. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

Die Fraktion DIE LINKE hat sich nach dem Fachgespräch, das wir im vergangenen Jahr durchgeführt haben, dafür entschieden, in der anstehenden Diskussion um die qualitative Verbesserung im Kita-Bereich einen ganz spezifischen Punkt herauszugreifen. Zunächst einmal sieht es aus wie ein kleines Rad, das sich jedoch mit einer großen Wirkung dreht. Es geht um die Notwendigkeit einer fachgerechten Praxisanleitung.

Offensichtlich haben wir mit diesem Vorschlag einen Nerv getroffen. Ich kann mich an wenige Gesetzentwürfe erinnern, bei denen fast alle Anzuhörenden einhellig ihre Unterstützung geäußert haben, wie dies bei diesem Gesetzentwurf der Fall war. Wir haben aber vorhin bereits gehört, Anhörungen werden sehr unterschiedlich bewertet, und zwar abhängig davon, wer zuhört oder wer auch nicht zuhört.

Eine gute Praxisanleitung braucht Zeit, die wir den Erzieherinnen und Erziehern zur Verfügung stellen wollen. Sie ist die Voraussetzung für einen gelingenden Transfer von Erfahrungswissen für die neu in den Beruf eintretenden oder nach langen Pausen wieder in den Beruf zurückkehrenden Fachkräfte. Gerade auch bei der praxisintegrierten vergüteten Ausbildung wird es sehr wichtig sein, dass den angehenden Fachkräften gute Anleitungspersonen zur Seite stehen und ein großes Anleitungskontingent vorhanden ist. Das ist beim Gesetzentwurf der Landesregierung nicht gegeben.

Gerade wer neu im Beruf anfängt, braucht eine gute Anleitung, braucht vielfältige Unterstützung und Begleitung. Diese Anleitungen brauchen auch eine gute Zusatzqualifizierung; denn das lernt man nicht im Rahmen einer Erzieherausbildung, und das ist Teil unseres Gesetzentwurfs.

Genau das haben die Anzuhörenden an unserem Gesetzentwurf wertgeschätzt und gewürdigt. Schade, dass die regierungstragenden Fraktionen das nicht verstanden haben. Ihr Vorstoß bezüglich einer Praxisanleitung ist mager. Ich fordere Sie auf, im Interesse der Kinder und Erzieher bei uns abzuschreiben und im Interesse der Bekämpfung der Personalnot an dieser Stelle nachzubessern.

(Beifall DIE LINKE)

Dazu passen – ich habe es vorhin bereits erwähnt – die unterschiedlichen Wahrnehmungen. Ich habe nicht wahrgenommen, dass Ihr Gesetzentwurf von den Anzuhörenden besonders gewürdigt oder besonders wertgeschätzt worden ist. Sie haben gesagt, dass es gut sei, dass mehr Geld in die Kitas fließt. Das ist richtig. Sie haben es begrüßt, dass mehr Qualität in die Kitas kommt. Das ist ebenfalls richtig. Es wurde aber nicht wertgeschätzt, dass Sie, obwohl so viel Geld zur Verfügung steht – wohlgemerkt: das sind Mittel des Bundes und der Kommunen, aber kein Landesgeld –, an den Fragen vorbei arbeiten.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Man hat also viel Geld, und trotzdem setzt man es nicht so ein, wie dies notwendig wäre. Die Kritikpunkte waren – ich will nur einige herausgreifen –, dass die Mittel nicht reichen, um den Fachkräfteschlüssel erfolgreich umzusetzen. Dazu haben Sie einen Änderungsantrag gestellt, auf den ich gleich noch zu sprechen kommen werde. Die Schwerpunktpauschale funktioniert in der aktuellen Form nicht und ist zudem diskriminierend. Inklusion kann angesichts des aktuellen Standes des Gesetzentwurfs in vielen Bereichen weiterhin nicht umgesetzt werden. Die mittelbare pädagogische Arbeit ist ebenfalls nicht abgebildet. Das ist nur eine kleine Auswahl. Insofern möchte ich Ihnen wirklich raten, sich nicht so toll zu feiern, wie Sie das heute probieren.

(Beifall DIE LINKE und Volker Richter (AfD))

Viel geändert haben Sie nach der Anhörung an Ihrem Gesetzentwurf nicht. Sie haben ihn sogar noch verschlechtert. Sie haben einen neuen Faktor für die U-3-Gruppen eingeführt, der es für die Träger finanziell reizvoller macht, Kinder mit Behinderungen aufzunehmen. Dieses System der Faktoren ist insgesamt kritisch zu sehen, wie dies beispielsweise die Lebenshilfe geäußert hat, die mehr Fachkraftstunden gefordert hat.

Wir wollen keine spezialisierten Kitas, die sich nur Kindern mit Behinderungen öffnen. Vielmehr wollen wir, dass in allen Kitas Kinder mit Behinderungen die Möglichkeit haben, gut aufgenommen zu werden. Das wäre ein Handeln im Sinne der Behindertenrechtskonvention.

(Beifall DIE LINKE)

Viel dramatischer aber ist Ihr Angriff auf den Fachkräftekatalog. Viele Träger haben zu Recht gesagt, dass es schwierig ist, Fachkräfte zu finden. Ich habe auch vernommen, dass insbesondere der Städtetag Ihnen da sehr schwer in den Ohren liegt. Außerdem greifen Sie der zu diesem Zweck eingerichteten Arbeitsgruppe vor. Sie tun so, als wären das kleine Änderungen. Nein, Sie öffnen damit Tür und Tor.

Sie wollen zukünftig vollkommen fachfremde Personen als Erzieher zulassen. Wenn es nach Ihnen ginge, wäre künftig Folgendes möglich: Ein junger Mann macht einen Bachelor in BWL, engagiert sich ehrenamtlich bei den Pfadfindern und fährt seit Jahren mit ins Zeltlager. Das reicht demnächst, um in Hessen künftig einer Erzieherin bzw. einem Erzieher gleichgestellt zu werden. Ist das wirklich Ihr Ernst? Die 160 Stunden sitzt man auf einem kleinen Körperteil ab. Das ist also wirklich keine Vorstellung, die eine Gleichstellung ermöglicht.

(Zuruf)

– Es mag sein, dass er ganz toll mit Kindern umgehen kann. Er hat aber doch gar keine Ahnung von frühkindlicher Pädagogik. Damit hebeln Sie doch die fachlichen Standards aus. Zudem dequalifizieren Sie die Erzieherausbildung.

(Beifall DIE LINKE und Volker Richter (AfD))

Wir haben doch die ganze Zeit lang nicht für die Abwertung, sondern für die Aufwertung dieser Berufe gekämpft.

Jetzt kommen Sie mit dem Vorbehalt des Jugendamts. Zur Qualifikation habe ich mich bereits geäußert. 160 Stunden sind nicht viel. Das ist eher ein Witz. Wenn Sie eine berufsbegleitende Ausbildung schaffen wollen, dann bitte so wie in Norwegen. Dort gibt es ein zweijähriges berufsbegleitendes Studium sogar für ausgebildete Pädagogen. Das wäre eine Sache, der ich gerne zustimmen würde. Das wäre sinnvoll. Das wäre eine Aufwertung des Berufs. Das wäre der richtige Weg.

Sie stellen die Kolleginnen und Kollegen beim Jugendamt doch vor ungeheuer große Probleme. Die Kita hat keine Fachkräfte. Jetzt gibt es aber den Rechtsanspruch auf Betreuung. Das muss das Jugendamt gewährleisten. Was soll denn das Jugendamt sagen? Wie kann man denn jemanden ablehnen und anschließend die Gruppe schließen? Sie machen es sich da wirklich sehr einfach.

(Beifall DIE LINKE)

Ihre Begründung mit der Multiprofessionalität ist wirklich nur vorgeschoben. Die Musikpädagogin höre ich schon seit Langem Musik machen. Das können sie doch schon die ganze Zeit. Menschen unterschiedlicher Profession können doch schon seit Langem in Kitas beschäftigt werden. Die Multiprofessionalität ist doch jederzeit gegeben. Sie wollen aber, dass das auf den Fachkräfteschlüssel angerechnet wird. Außerdem wollen Sie unbedingt billige Arbeitskräfte in den Kitas. Das ist doch Ihr Interesse und nichts anderes.

(Beifall DIE LINKE)

Die Träger haben Ihnen doch vorgerechnet, dass die Mittel nicht ausreichen, um so viele Fachkräfte in den Kitas einzustellen, wie Sie es in Ihrem Bundesprogramm vorsehen. Dann haben Sie gesagt: Dann schauen wir doch einmal nach einer Lösung. Nehmen wir doch einfach ein paar Kräfte, die etwas billiger sind. Dann können wir ein paar mehr einstellen. – So einfach haben Sie es sich gemacht. Ich denke, das ist ein Skandal.

(Zuruf Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie suchen den billigsten Weg, um die Träger ruhigzustellen. Die Qualität kann leiden. Hauptsache, es kostet kein Landesgeld. Das ist schwarz-grüne Bildungspolitik: Quereinsteiger in den Schulen, keine A 13 für Grundschullehrkräfte, nun der Quereinstieg auch in Kitas. Das ist doch ein roter Faden, aber nicht unserer. Im Sinne der Kinder und Jugendlichen sagen wir ganz klar „Nein, danke“ zu dieser Politik.

(Beifall DIE LINKE)

Dass es andere Wege gibt, ist unbestritten. Unser Gesetzentwurf zeigt das. Dieser hat einen anderen Weg aufgezeigt. Wir haben nicht unbedingt einen Mangel an Auszubildenden im Erzieherberuf. Wir haben das Problem, dass 25 % der ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher nach fünf Jahren den Beruf verlassen,

(Zuruf Kathrin Anders (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

weil sie nicht gut auf den Beruf vorbereitet worden sind, weil sie keine Unterstützung erhalten und weil die Arbeitsrealität nicht ihren Vorstellungen entspricht. An diesem Punkt müssen Sie ansetzen. Das ist die wesentliche Frage. Da können Sie noch so tolle Werbekampagnen machen und Hochglanzbroschüren auflegen. Das wird Ihnen nichts helfen, wenn Sie die Realität in den Kitas nicht verbessern und die Situation insgesamt nicht verbessern.

(Beifall DIE LINKE)

Wir müssen doch auch Lösungen für die älteren, erfahrenen Erzieherinnen und Erzieher finden, die nicht mehr unmittelbar am Kind arbeiten. Unser Gesetzentwurf bietet die Möglichkeit, diese Erzieherinnen und Erzieher weiterzuqualifizieren, ihnen zusätzliche Funktionen zu übertragen und Aufstiegsmöglichkeiten zu eröffnen. Ich denke, das wäre eine Chance, wie man auch diesen Teil des Personals langfristig halten und seine Qualifikationen und Möglichkeiten nutzen könnte.

Ich denke, es gibt noch mehr Ansatzpunkte. Eine echte Nachqualifizierung von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern wäre ein weiterer Punkt, den man umsetzen könnte. Ihre Maxime lautet aber: kein Geld für die Kitas. – So kann frühkindliche Bildung aber nicht gelingen. – Danke schön.

(Beifall DIE LINKE)