Reden im Landtag

Christiane Böhm - effektive Maßnahmen gegen häusliche Gewalt ermöglichen statt Selbstlob

Christiane Böhm
Christiane BöhmFrauen

In seiner 51. Plenarsitzung am 2. September 2020 diskutierte der Hessische Landtag über die Bekämpfung von häuslicher Gewalt, die durch die Corona-Pandemie noch einmal zugenommen hat. Dazu die Rede unserer frauenpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Nachdem wir bereits vor der Sommerpause über einen Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema „Femizide und häusliche Gewalt“ diskutiert haben, sind nun die Kolleginnen und Kollegen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit einem thematisch ähnlichen Entschließungsantrag unter dem Vorzeichen der Corona-Pandemie nachgezogen. Ich freue mich, dass wir dieses Thema weiter hier diskutieren.

Das Erleben von Gewalt prägt die Realität vieler Frauen und Kinder auch in Hessen. Das kann nicht oft genug betont werden, damit endlich mehr getan wird für die Gleichstellung, für die Selbstbestimmung von Frauen und für den Kinderschutz.

Ich habe mich auch sehr gefreut, dass Links wirkt, weil in den Verlautbarungen des hessischen Sozialministeriums, sei es bei der Beantwortung von Anfragen der Opposition, aber auch der Medien, eine Zunahme der häuslichen Gewalt während der Corona-Pandemie immer bezweifelt worden ist. Angeblich gibt es keine steigenden Anfragen bei den Frauenhäusern. Heute ist bereits einiges dazu gesagt worden, dass uns das weniger beruhigt als alarmiert. Das hat aber auch die Studie der TU München gezeigt, die ich damals schon erwähnt habe.

Deshalb ist es folgerichtig und zudem dringend notwendig, dass nun 3 Millionen € aus dem Sondervermögen in die Gewaltschutzstrukturen fließen sollen. Das ist aber nur ein sehr kleiner Tropfen auf den sehr heißen Stein. Dementsprechend haben wir dem auch im Haushaltsausschuss zugestimmt. – Das war es aber auch schon mit dem Lob. Jetzt kommt die Aufzählung der Peinlichkeiten.

Peinlichkeit Nr. 1. Meine Freude über Ihre Erkenntnis währte nur kurz, als ich über die Überschrift Ihres Antrags hinausblickte. Eigentlich hatten wir eine gute Debatte zum Thema Femizide geführt, die wir im Ausschuss fortgesetzt haben. Deshalb hatte ich gedacht, dass es vielleicht einen kleinen Erkenntnisgewinn und einen fundierteren Antrag gibt als den, den Sie hier vorgelegt haben. Dass Sie sich loben und Ihre kleinen Summen zu großen Elefanten aufpusten, das kennen wir schon. Dazu haben wir unterschiedliche Positionen. Es mag sein, dass Sie es nötig haben, zu klappern. Das ist aber Ihre Sache.

Aber ich frage mich schon, wie Sie es schaffen – bisher hat nur Frau Kollegin Gnadl etwas dazu gesagt –, eineinhalb Seiten Antragstext zum Thema der häuslichen Gewalt zu verfassen, ohne auch nur mit einer Silbe die Istanbul-Konvention zu erwähnen. Das ist eine wirkliche Leistung, die Sie erbracht haben. Ich bin voll der Bewunderung.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wir diskutieren seit eineinhalb Jahren im Landtag darüber. Im Februar vergangenen Jahres haben wir den Antrag gestellt, dass der Landesaktionsplan zur häuslichen Gewalt gemäß der Istanbul-Konvention endlich weiterentwickelt wird. Damals hat der Minister ganz vollmundig gesagt, nicht nur dieser Landesaktionsplan, sondern alle Landesaktionspläne würden neu aufgelegt.

Was aber ist jetzt passiert? – Nichts. Sie erwähnen das nicht einmal. Wie schaffen Sie es denn, völlig an der Realität dieser Fragen vorbeizugehen? Schließlich ist dieses Übereinkommen des Europarates entscheidend dafür, wie wir bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt vorankommen. Das müssten Sie aber doch so langsam einmal kapiert haben. Ich verstehe das vor allem nicht bei den grünen Frauen. Da denke ich manchmal: Tut mir leid.

Es ist also nichts passiert. Sie loben sich hier für ein Nichtstun in den vergangenen eineinhalb Jahren. Das wäre mir echt peinlich. Ich wundere mich schon sehr, wie Sie das hinbekommen.

Neugierig schaute ich mir gestern den GREVIO-Staatenbericht und natürlich den hessischen Beitrag dazu an. Ganz begeistert war ich von der Problembewusstseinserweiterung mittels Brötchentüten. Es ist sicher eine gute Idee, auf Brötchentüten zu schreiben: Gewalt kommt mir nicht in die Tüte. – Das kann aber doch nicht alles sein.

Dann habe ich nach den Fortbildungen für die Justiz gesucht, von denen Sie beim letzten Mal ganz vollmundig behauptet haben, sie seien längst da, und deshalb müssten wir keine Forderungen mehr stellen. Ich habe sie gefunden.

Einmal im Jahr haben zwei Richter und ein Staatsanwalt an einer Fortbildung zu Gewalt in der Familie, familien- und strafrechtlichen Aspekten und zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung beim Verdacht auf sexuellen Missbrauch teilgenommen. Über den Umfang der Fortbildung ist nichts bekannt. Eine Wissenschaftlerin hat vor Kurzem bei den hessischen Justizbehörden nachgefragt, inwiefern die Istanbul-Konvention angewendet wird. Sie werden sich jetzt sicherlich nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, dass die meisten noch gar nichts davon gehört haben.

Da sagen Sie uns, dass unsere Forderung nach verpflichtenden Fortbildungen völlig unnötig wäre. Das ist ein Widerspruch, den Sie einmal auflösen müssen. Es ist dringend notwendig, bei Polizei und Justiz für mehr Bewusstsein für häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen zu sorgen. Tun Sie endlich etwas.

Zu dem Bericht gäbe es sicherlich noch mehr zu sagen. Nur noch eines: Es gibt immer noch keine Monitoringstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Es steht aber auch nicht da, dass Sie planen, eine solche zu errichten. Ich hätte zumindest erwartet, dass Sie eine unbestimmte Absichtserklärung abgegeben hätten. Wie und wo wollen Sie denn die Informationen zusammenführen, die Umsetzung der Konvention planen und organisieren? Schließlich ist das keine Goodwill-Veranstaltung, sondern verpflichtend. Dem werden Sie mit Ihren Klein-Klein-Maßnahmen absolut nicht gerecht. Hören Sie endlich auf, sich zu loben. Werden Sie endlich aktiv.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Peinlichkeit Nr. 2. In Ihrem Entschließungsantrag zeigt sich wieder einmal ein ganz typisches Muster Ihres Regierungshandelns. Zum Ausbau der Frauenhäuser haben wir schon zahlreiche Diskussionen geführt. Laut Punkt 5 „erkennt der Landtag den Bedarf für investive Maßnahmen“ bei Frauenhäusern an. Eigentlich müsste es heißen, dass die regierungstragenden Fraktionen dies erkannt haben, weil die linke Hälfte des Landtags diesen Bedarf schon lange erkannt hat.

(Beifall DIE LINKE)

Nicht nur die SPD, sondern auch DIE LINKE hat in Haushaltsberatungen immer wieder gefordert, dass mehr Mittel eingestellt werden. Dies haben Sie jedes Jahr abgelehnt. Woher kommt aber nun der Sinneswandel? Ganz einfach: Es gibt Bundesmittel. Das Muster ist bekannt. 120 Millionen € stellt die Bundesregierung den Ländern zur Verfügung. Der Bund übernimmt 90 % der Kosten. Ich nehme an, dass den Rest das Land Hessen übernimmt.

Jahr für Jahr haben Sie die Bedarfe ignoriert. Nun feiern Sie sich dafür, dass Sie ein bisschen etwas drauflegen. Das ist wirklich unredlich. Solche Diskussionen kennen wir aber schon, da sie zum Gute-Kita-Gesetz und zu anderen Fragen auch schon geführt worden sind. Mit dem Geld anderer können Sie gut arbeiten und außerdem Propaganda machen. Aber eigene Prioritäten setzen, das können Sie nicht.

In diesem Bereich gibt es noch sehr viel mehr zu tun. Wir brauchen mehr Frauenhausplätze. Wir brauchen neue Frauenhäuser. Die bisherigen Frauenhäuser platzen aus allen Nähten. Wir brauchen mehr Familienzimmer. Wir brauchen mehr Barrierefreiheit. Frauen brauchen die Möglichkeit, auch mit älteren Jungen in ein Frauenhaus zu gehen. Wir brauchen endlich eine andere Finanzierung der Frauenhäuser. Es ist entwürdigend, dass die Mitarbeiterinnen gebrauchte Handtaschen auf dem Flohmarkt oder Kuchen auf dem Sommerfest verkaufen müssen, um ihre Arbeit finanzieren zu können. Dies ist zudem unter Corona nur schwer möglich. Frauenhäuser müssen endlich pro Platz, aber nicht pro Frau finanziert werden, sodass die Arbeit tatsächlich sachgerecht gemacht werden kann.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

3 Millionen € sind schon einmal ganz nett. Angesichts eines Sondervermögens von 12 Milliarden € sind 3 Millionen € aber beschämend wenig. Aber seit Roland Kochs „düsterer Zukunft“ sind die Ansprüche vieler Träger sehr bescheiden geworden, sodass man sich schon über jeden Krümel freut.

Was aber ist mit den Interventionsstellen? Diese sind meistens nur mit einer Person besetzt, und es gibt keine Anlaufstelle, wenn diese krank oder im Urlaub ist. Es gibt nicht einmal jemanden, der die Tür aufmachen kann, wenn die Kollegin in Beratung ist. Sie hat keine Kollegin, mit der sie sich austauschen kann, und keine Vertretung. Was ist mit den Fachberatungsstellen gegen sexuelle Gewalt an Kindern, die teilweise zu 50 % über Eigenmittel finanziert werden, die während der Pandemie weggebrochen sind?

In all diesen Einrichtungen braucht es hohe Investitionen für die Digitalisierung und pandemiebedingte Schutzeinrichtungen, die nicht im Haushalt vorgesehen waren. Viele Weiterbildungen, bei denen die Kolleginnen und Kollegen ihr eigenes Geld organisiert haben, sind nun weggebrochen.

Das gilt für viele Träger. Wenn die Pandemie am spürbarsten sein wird, werden diese nicht mehr in der Lage sein, die Angebote tatsächlich so vorzuhalten, wie dies erforderlich ist.

Es ist notwendig, alle Träger vor dem Schicksal zu bewahren, dass sie ihre Arbeit nicht mehr im notwendigen und sinnvollen Maße machen können. Wir brauchen endlich bessere Einrichtungen zum Schutz vor Gewalt. Hier erwarte ich eine wirklich angemessene Reaktion der Landesregierung. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)