Reden im Landtag

Christiane Böhm: Bildung und Teilhabe muss allen Kindern und Jugendlichen gleichermaßen möglich sein

Christiane BöhmFamilien-, Kinder- und JugendpolitkSoziales

In seiner 84. Plenarsitzung am 30. September 2021 diskutierte der Hessische Landtag zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Zwölften Sozialgesetzbuch. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Sehr geehrte Damen und Herren! Felix Martin hat so getan, als würde es sich hier um eine reine Formalie handeln.

(Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ist es auch!)

Landesrecht setzt Bundesrecht um. – Ja, es ist so, das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, das Bildungs- und Teilhabepaket ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und verletzt das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen.

Was machen Bundes- und Landesregierung? Sie ändern einfach die Zuständigkeit und sagen: Jetzt müsst ihr einfach als Kommunen weitermachen. – Es wird auch behauptet, sie hätten keine zusätzlichen Mehrkosten, sie hätten die Arbeit sowieso schon gemacht. Aber das heißt nicht, dass dort keine Kosten entstehen, gerade durch die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes. Das kostet viel Zeit, viel Energie, viel Personal und damit auch viel Geld.

Wir wollen uns noch einmal vergegenwärtigen, warum es dieses Paket überhaupt gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Regelsätze für Kinder und Jugendliche viel zu gering sind, dass wichtige Bedarfe nicht abgedeckt sind. Statt aber den Eltern im Rahmen der Regelsätze mehr Geld für die Kinder zur Verfügung zu stellen, sodass auch eine gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen möglich ist, wurde dieses völlig bürokratische und unsinnige Gesetz geschaffen. Das alles, weil die Regierenden – ich glaube, damals war es Schwarz-Gelb – den Eltern nicht zutrauen, das Geld im Sinne ihrer Kinder auszugeben. Das finde ich echt unverschämt.

Im Widerspruch dazu stehen ganz viele Studien und Erfahrungen, dass gerade Eltern mit geringen finanziellen Spielräumen eher ihre eigenen Ansprüche zurückstellen und alles dafür tun, damit ihre Kinder sportliche, kulturelle und Bildungsangebote nutzen können.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Ich fordere die Landesregierung deswegen auf, sich über den Bundesrat für ordentliche Regelsätze einzusetzen, statt dieses Klein-Klein des Bildungs- und Teilhabegesetzes weiterzuführen.

Der Sozialausschuss hat sich im Juni mit einem von meiner Fraktion eingereichten Berichtsantrag zur Nutzung dieses Pakets – oder sagen wir lieber: Päckchens – in Hessen befasst. Auslöser war ein Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der in Hessen deutlich gemacht hat, dass trotz der erschreckenden Kinder- und Jugendarmut von fast 22 % die Unterstützungsleistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes in Hessen nur unterdurchschnittlich abgerufen werden.

Die Unterstützung für Familien mit Grundsicherung und niedrigem Einkommen ist nämlich bitter notwendig.

Ich möchte zwei Erkenntnisse aus diesem Berichtsantrag nennen.

(Unruhe)

– Ich würde doch ein wenig um Ruhe bitten. Wenn Sie laut reden, dann muss ich noch lauter reden. Das ist vielleicht auch nicht so gut.

Zwei Erkenntnisse gibt es. Nummer 1: Es gibt sehr engagierte Kommunen, die versuchen, Sozialleistungen zur Auszahlung zu bringen und viel in Beratung und Förderung zu investieren. Dann gibt es andere Kommunen, die das offensichtlich weniger gut machen.

Nummer 2: Die Landesregierung sieht keinerlei Zuständigkeit für ein einheitlicheres Vorgehen der Kommunen.

Vergleichen wir einmal beispielhaft zwei Landkreise mit ähnlicher Adressatenzahl. Im Landkreis Darmstadt-Dieburg leben etwa 10.900 junge Menschen, die vom Bildungs- und Teilhabepaket profitieren können. Im ersten Halbjahr 2020 gab der Landkreis 487.000 € aus. Im LahnDill-Kreis leben knapp rund 550 Adressaten und Adressatinnen weniger. Der Landkreis hat aber fast das Doppelte, nämlich 836.000 €, ausgegeben.

(Beifall Saadet Sönmez (DIE LINKE) und Stephan

Grüger (SPD))

Das sind riesige Lücken, die wir in anderen Fällen genauso oder noch drastischer finden. Das hat doch mit Chancengerechtigkeit für junge Leute überhaupt nichts zu tun.

(Beifall DIE LINKE)

Die Landesregierung weiß sehr wohl, wo der Schuh drückt. Sie verweist selbst darauf, dass insbesondere unzureichende Information und Beratung die Hauptursache für die Nichtinanspruchnahme von Bildungs- und Teilhabeleistungen sind.

(Beifall Saadet Sönmez (DIE LINKE) und Stephan Grüger (SPD))

Die Landesregierung betont, dass Kommunen mit hoher Mittelgewährung intensive Öffentlichkeitsarbeit und Beratungsleistungen erbringen. Dann sieht man, dass es sehr unterschiedlich ist, was die Kommunen machen. Man kann nicht einfach sagen: Macht schon mal, das wird schon alles irgendwie gut werden.

Was schlussfolgert die Landesregierung aber aus diesem Handlungsauftrag? – Gar nichts. Es gebe einen steten Austausch mit den Kommunen. Mehr sei nicht machbar. Es sei schließlich kommunale Zuständigkeit. Ich glaube, das habe ich die Woche schon häufiger gehört, heute Morgen bei den Kitas, vorgestern beim öffentlichen Gesundheitsdienst, bei der ambulanten psychiatrischen Versorgung. Alles sollen die Kommunen schon einmal recht machen. Ob sie die finanziellen Mittel dazu haben, ist uninteressant.

Vizepräsidentin Karin Müller:

Frau Abgeordnete, Sie können auch nicht mehr so viel schlussfolgern, Ihre Redezeit ist nämlich um.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Ja. – Es ist aber an der Zeit, dass Minister Klose zu einem runden Tisch zur Bekämpfung der Kinder- und Jugendarmut einlädt und damit klare Aussagen zum Bildungs- und Teilhabepaket, zur Einrichtung von Präventionsketten gegen Kinderarmut und zur Bereitstellung zusätzlicher Landesmittel macht. Ich glaube, dann wird auch ein bisschen mehr passieren als jetzt. – Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)