Reden im Landtag

"Es ist notwendig die Gewalt gegen Frauen anzugreifen. Sonst sind wir nicht in der Lage sind, die Gleichstellung von Frauen mit Männern voranzutreiben"

Christiane Böhm
Christiane BöhmFrauen

Überarbeitung des Landesaktionsplanes zur Bekämpfung häuslicher Gewalt gemäß den Vorgaben der Istanbul-Konvention (Antrag Fraktion DIE LINKE, DS.20/177)

 

Schönen Dank, Herr Vorsitzender.

– Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Am 14. Februar haben auch in Hessen wieder Hunderte Frauen, Mädchen, aber auch solidarische Männer gemeinsam öffentlich getanzt und sich damit mit der Alltäglichkeit von häuslicher Gewalt auseinandergesetzt und dagegen demonstriert.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD) Unter dem Motto „One Billion Rising“ machen Frauen, Mädchen und Männer weltweit darauf aufmerksam, dass jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens von Gewalt und/ oder sexuellen Übergriffen betroffen ist. Diese Aktion schafft Bewusstsein und Selbstbewusstsein für die Auseinandersetzungen, die Frauen weltweit jeden Tag führen müssen, um sich einen gerechteren Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen.

Vor diesem Hintergrund sage ich für meine Fraktion DIE LINKE Danke an alle engagierten Frauen, alle Feministinnen und alle Feministen, auch für die im Hinblick auf die kommende Woche anstehenden Aktionen zum Internationalen Frauentag und für den alltäglichen Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Vielen Dank dafür. Besonderen Erfolg wünsche ich denjenigen, die an den Frauenstreiktag-Demos in Frankfurt und Kassel am 8. März teilnehmen, zu denen ich Sie natürlich auch ganz herzlich einlade.

(Beifall DIE LINKE)

Dieser Einsatz bleibt unverzichtbar. Wir sind weit davon entfernt, einen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit zu haben. Wir haben keine gleiche Lastenteilung bei der Sorgearbeit, weder in den Beziehungen noch in der Gesellschaft. Wir haben auch noch keine annähernde Parität in Spitzenjobs und in Parlamenten – sehen wir uns nur diesen Landtag mit einem Drittel Frauen an.

Viel zu oft werden Frauen und Mädchen noch selbst für die Gewalterfahrungen verantwortlich gemacht; und das, obwohl wir in Art. 3 Grundgesetz die Gleichberechtigung stehen haben. Die Umsetzung steht noch längst aus. Diese Umsetzung erfordert auch die Bereitschaft, das eigene Rollenverständnis zu hinterfragen, aber auch zu gesellschaftlichen und politischen Weichenstellungen.

Deswegen haben wir uns darüber gefreut, dass dieses Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, kurz gesagt: Istanbul-Konvention, tatsächlich zustande gekommen ist.(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Diese Konvention wurde 2011 beschlossen, gilt seit 2014 und ist inzwischen von 33 Staaten ratifiziert. Sie vereint das „Bestreben, ein Europa zu schaffen, das frei von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist“. – Das ist der letzte Satz aus der Präambel.

Sie hat drei Hauptziele: die Verhütung, Verfolgung und Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und den Schutz und die Unterstützung aller Gewaltopfer.

Es ist wichtig, dass dafür entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden, dass es die Unterstützung der Zivilgesellschaft gibt, dass die gesellschaftliche Position von Frauen und Mädchen gestärkt ist. Ein Satz in dieser Istanbul- Konvention macht besonders deutlich, wie bedeutend dieses Thema ist. Die Konvention wurde beschlossen

… in Anerkennung der Tatsache, dass Gewalt gegen Frauen der Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern ist, die zur Beherrschung und Diskriminierung der Frau durch den Mann und zur Verhinderung der vollständigen Gleichstellung der Frau geführt haben; …

Ich denke, dieser Satz zeigt deutlich: Es ist notwendig, diese Gewalt, die häusliche Gewalt und die Gewalt gegen Frauen insgesamt, anzugreifen, weil wir sonst nicht in der Lage sind, die Gleichstellung von Frauen mit Männern tatsächlich voranzutreiben.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Seit dem 1. Februar 2018 gilt die Konvention auch in Deutschland. Allerdings hatte sie bis heute, zumindest in der Minute, in der sie auf die Tagesordnung des Landtags gekommen ist, noch keine spürbaren Folgen in Hessen. Ich hoffe, dass daraus welche hervorgehen.

Deswegen haben wir unseren Antrag gestellt. Wenn ich mir allerdings den schwarz-grünen Antrag anschaue, muss ich sagen: Er ist teilweise wortwörtlich aus dem Koalitionsvertrag abgeschrieben worden. Das freut uns natürlich. Wir freuen uns über diese Bestrebungen.

(Zurufe CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Lassen Sie mich doch weiterreden; dann kommen wir vielleicht auch zu einem gemeinsamen Punkt. Danke schön. – Ich habe das natürlich mit Freude gesehen. Allerdings erwarte ich jetzt – ich glaube, Sie stellen die Landesregierung; da war doch etwas, habe ich in Erinnerung –, dass Sie sagen, welche Schritte gegangen werden müssen. Aber das ist leider nicht der Fall.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Ich will einen Punkt herausheben. Ich denke, deutlich ist der Mangel an Plätzen für Frauen, die aus Gewaltbeziehungen heraus fliehen müssen. Die Webseite der hessischen Frauenhäuser macht den Mangel an Frauenhausplätzen und Frauenschutzwohnungen sehr deutlich. Meist ist gar kein Platz in Hessen frei. Heute Morgen war es gerade einmal einer. Aber er wird ganz sicher am Wochenende längst besetzt sein.

Die Konsequenz ist, und das ist bitter, dass jede zweite Frau, die in Hessen Schutz vor häuslicher Gewalt sucht, von den Frauenhäusern abgewiesen werden muss. Das ist ein Skandal. Das darf in diesem reichen Land überhaupt nicht passieren.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Wir brauchen jetzt dringend – da gebe ich Ihnen Nachhilfe für Ihre Anträge und die Umsetzung des Koalitionsvertrags – nicht nur ein paar Zimmer mehr, sondern wir zusätzliche Schutzplätze für Frauen. Wir brauchen Strategien, wie Frauen nach der Stabilisierung im Frauenhaus schnell einen Wohnraum bekommen. Wir brauchen auch dynamisierte Landesmittel für Frauenschutzprogramme und Beratungsstellen, damit die Tariferhöhungen weitergegeben werden können und die Frauenhauseinrichtungen nicht immer am Hungertuch nagen müssen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Das alles muss sich in einem überarbeiteten Landesaktionsplan wiederfinden, der sich an den Maßstäben misst. Der jetzt vorliegende von 2011 verdient nicht einmal den Namen Landesaktionsplan. Dort ist weder eine Beschreibung der Situation noch der Aufgaben, noch der Aktionen, noch der Handlungen, noch der Zielstellung. Darin steht nur, was man sowieso machen muss, was man gerade macht.

Ich erwarte eine klare Analyse, eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft, klare Zielstellungen und Meilensteine, ein Monitoring und eine Evaluation sowie den Fokus auf besonders von Gewalt und sexuellen Übergriffen betroffene Gruppen und besonders vulnerable Gruppen und auch auf neue Phänomene, wie sie über das Internet auftreten, z. B. Cyber-Grooming.

Ich denke, es gibt weitere Bedarfe. Sie erwähnen die Fuldaer Schutzambulanz. Aber wie lange diskutieren wir schon darüber? Das ist ein Konzept, das einige schon machen. Es müsste aber eigentlich in allen Krankenhäusern möglich sein, dass eine Frau, wenn sie sich nach einer Vergewaltigung noch nicht entscheiden kann, ob sie eine Anzeige stellt, dort ordentlich behandelt wird und dass die Unterlagen gesichert werden.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Es darf nicht ewig ein Modell bleiben. Die Istanbul-Konvention verpflichtet Sie dazu, den Frauen den umfassenden Schutz und die Betreuung zu garantieren. Dazu gehört auch die Einführung eines anonymen Krankenscheins. Hier verweise ich auf Thüringen. Die haben das gemacht für Menschen ohne Papiere und ohne Versicherungsschutz. Es sollte gerade für Frauen und Mädchen gemacht werden, die nach einer Vergewaltigung anonym bleiben wollen.

Man kann sich in Thüringen erkundigen – die Wege sind nicht so weit –, wie das dort funktioniert. Das funktioniert gut in dem Maße, dass es keine riesige Zahl ist, aber eine notwendige Zahl. So wurden im ersten Jahr 90 anonyme Krankenscheine ausgestellt, mit denen diesen Frauen und Mädchen geholfen werden kann, die in einer medizinischen Notlage sind.

(Beifall DIE LINKE)

Präsident Boris Rhein: Frau Kollegin, ich darf Sie auf die Redezeit hinweisen.

Christiane Böhm (DIE LINKE): Danke schön. – Ich denke, wir haben einen gewissen Erfolg mit der Istanbul-Konvention. Wichtig ist, dass sie jetzt umgesetzt wird und dass wir alle Frauen und Betroffenen von Gewalt und sexuellen Übergriffen unterstützen und dass wir den in der Frauenbewegung Engagierten entschlossen den Rücken stärken.

Ich lade Sie dazu noch einmal ein. Beteiligen Sie sich an den Aktionen und Veranstaltungen zum 8. März, zum Internationalen Frauentag. Bringen Sie diese Themen dort mit ein. Die Frauen werden es Ihnen danken.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)