Reden im Landtag

Christiane Böhm - Es braucht mehr Bewegung für mehr Erzieherinnen und Erzieher

Christiane BöhmFamilien-, Kinder- und JugendpolitkSoziales

In seiner 104. Plenarsitzung am 12. Mai 2022 diskutierte der Hessische Landtag passend zu den Warnstreiks der Sozial- und Erziehungsdienste über die Arbeitsbedingungen in den hessischen Kitas. Dazu die Rede unserer sozialpolitischen Sprecherin Christiane Böhm.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Es bewegt sich etwas. Nein, keine Sorge. Ich meine nicht die schwarz-grüne Landesregierung. Diese sitzt wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange mit Namen Fachkräftemangel und wartet darauf, endgültig verspeist zu werden. Eventuell verhandelt es auch noch zögerlich mit der Schlange, ob es nur eine Pfote opfern muss und ob es dann irgendwie weiterhumpeln darf. Die geopferte Pfote wird dann wahrscheinlich der Betreuungsqualität und den fachlichen Standards entsprechen, die immer wieder gelockert werden, um irgendwie und wenigstens einigermaßen formal den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz und ab dem Jahr 2026 auch den auf einen schulischen Ganztagsplatz zu erfüllen.

Die Erzieherinnen und Erzieher sind deutlich klüger. Sie sind es, die sich glücklicherweise zu Tausenden in Bewegung setzen und in Streiks für bessere Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Wertschätzung kämpfen. Ich bedanke mich für das Engagement der Kolleginnen, die sich für bessere Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Aber nicht nur das. Sie setzen sich auch dafür ein, dass Kitas wieder mehr als Aufbewahrungseinrichtungen werden und Menschen in sozialen Notlagen kompetente Unterstützung finden. Sie arbeiten für Menschen und ganz besonders für Kinder und damit für das wirklich Wertvolle auf dieser Welt. Ich sende den streikenden Kolleginnen und Kollegen solidarische Grüße der gesamten LINKEN von dieser Stelle aus und wünsche ihnen viel Erfolg bei der Durchsetzung ihrer Forderungen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Beschäftigten der Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitsberufe haben verstanden: Ein Kaninchen vor der Schlange ist verloren. Viele zusammen haben gute Chancen, die Schlange zu vertreiben. Nur wer sich organisiert, zusammenschließt und gemeinsam kämpft, kann tatsächlich etwas zum Besseren wenden. Anders als die Landesregierung, die sich wie üblich zu diesen Fragen ausschweigt, wissen die Kolleginnen und Kollegen, dass diese Auseinandersetzung nicht nur für sie selbst geführt wird, sondern für uns alle.

Wir wissen aber auch, dass es nicht nur an den Kommunen liegt. Viele der Forderungen zielen auf das Land bzw. auf eine bessere Landesfinanzierung. Kollegin Gnadl hat dankenswerterweise dazu schon Stellung genommen. Ich kann mich ihren Forderungen nur anschließen.

Ein guter Tarifvertrag kann nur dann von den kommunalen Arbeitgebern abgeschlossen werden, wenn diese auch in der Lage dazu sind, wenn die Kommunen auch das Geld haben, um bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und bessere Löhne zu zahlen.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Da sind die Länder eindeutig in der Pflicht. Das kann man nicht den Tarifverhandlungen zuschieben.

Herr Klose, ich verstehe immer noch nicht, warum das Land Hessen die Förderung für die praxisintegrierten vergüteten Ausbildungsplätze Anfang des Jahres so drastisch reduziert hat. Im Haushalt 2021 standen noch Mittel für 600 PivA-Stellen, 2022 waren es dann nur noch 400. Jetzt plötzlich haben Sie wieder 600 daraus gemacht, angeblich wegen der Geflüchteten aus der Ukraine. Aber das galt doch auch schon vor diesem Krieg. Das war auch schon vor der Corona-Pandemie klar. Wir brauchen in den nächsten Jahren jede einzelne Fachkraft. Sie hätten die Zahl gar nicht erst reduzieren dürfen, sondern Sie hätten sie verdoppeln müssen. Das wäre notwendig gewesen.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist nur ein Beispiel von vielen, wo Schwarz-Grün im Halben stecken bleibt. Wir haben hier im Landtag einen Gesetzentwurf vorgelegt mit dem Ziel, die Freistellung für die Praxisanleitung auf vier Stunden zu erweitern; denn eine gute Begleitung hilft eben auch, die Praxis dieses Jobs zu verkraften. So könnten wir Tausende Auszubildende gewinnen. Allerdings wurde mir gestern auf der Kundgebung in Rüsselsheim geschildert, dass sechs von 26 Auszubildenden innerhalb des ersten halben Jahres die Ausbildung geschmissen haben. Wie wollen Sie Fachkräfte gewinnen, wenn es nicht möglich ist, tatsächlich eine gute Anleitung zu bekommen?

(Zurufe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das trifft auch auf die Berufsrückkehrerinnen und -rückkehrer, die Berufsquereinsteigerinnen und -quereinsteiger sowie die Erzieherinnen und Erzieher aus der Ukraine zu, die jetzt für den Beruf gewonnen werden sollen. Wer leitet denn diese Menschen an und sorgt dafür, dass sie ein gutes und breit aufgestelltes Team haben, in dem sie tätig werden können? Unser Gesetz hätte dazu beigetragen, auch ältere Kolleginnen und Kollegen mit ihren Erfahrungen in den Kitas zu halten.

(Beifall DIE LINKE)

Ich bin aber Optimistin. Ich denke, dass Sie das nicht mehr lange durchhalten werden. Die Entschlossenheit der aktuell streikenden Kolleginnen und Kollegen und der Kampf um Entlastungstarifverträge in den Kliniken geben mir Hoffnung, dass die Politik bald zu den dringend notwendigen Handlungen gezwungen sein wird.

(Beifall DIE LINKE)

Wer über Nacht 100 Milliarden € für die Aufrüstung „findet“, der sollte sich einfach nur schämen, wenn bei Kita-Erzieherinnen und -Erziehern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und bei Pflegekräften fortgesetzt um jeden Cent gefeilscht wird.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe CDU und BÜNDNIS

90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Frank Lortz:

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Christiane Böhm (DIE LINKE):

Das tue ich. – Das werden sich die Beschäftigten nicht mehr bieten lassen, und wir von den LINKEN werden sie mit aller Kraft dabei unterstützen.

(Beifall DIE LINKE – Zurufe CDU)